Glencoe - Historischer Roman
gingen!
»Irgendwann wurde es den Unsrigen zu bunt«, erzählte Charlie nun mit vor Eifer geröteten Wangen. »Sie schickten nach Edinburgh um Hilfe.«
»Was heißt hier ›nach Edinburgh‹?«, fuhr einer dazwischen.
»In den Staatsrat, meint er. Dieses Pack von Verrätern hat sich mit dem Sassenach zusammengetan, um die eigenen Leute zu schlachten.«
»Würdest du dir dein Vieh stehlen lassen, deinen Wein und deine Weiber?« Die Stimme des Erzählers wurde weinerlich.
»Wer stiehlt dir denn Weiber, Kleiner? Hast du etwa ein Dutzend unter Mutters Bett versteckt?« Ranald vom Schild hatte die Lacher auf seiner Seite, zumindest die unter den Alten.
»Jetzt lasst Charlie doch erzählen«, mischte sich ein Vetter des Verhöhnten ein. »Dumme Zoten reißen könnt ihr später. Also los, Charlie, wie ist’s weitergegangen? Deine Boten sind nach Edinburgh, um einen Freibrief für Feuer und Schwert zu erbitten. Und haben sie einen bekommen?«
»Das weißt du wie ich«, blaffte der noch immer Gekränkte. »Dann magst du genauso gut die Geschichte erzählen.«
»Bitte sehr, dein Wunsch sei mir Befehl. Selbstredend erhielt unser Ahnherr seinen Freibrief und hat nicht lange gefackelt, nein, auf ging’s nach Glencoe!« Der junge Mann versetzte der Luft einen Hieb. »Die faulen Säcke waren mit ihren Weibern auf den Hochweiden und machten sich einen lustigen Lenz. So hatten die Unsrigen ein leichtes Spiel.«
Ja, ihre Wehrlosigkeit war den Chiefs von Glencoe noch heute arg, weshalb sie seither stets einen Teil ihrer Männer zum Schutz des Tales zurückließen. Eine halbe Hundertschaft istdaheim und hält Wacht, beruhigte sich der MacIain auch jetzt. Währenddessen stritten Charlie und sein Vetter, wer weitererzählen sollte. Schließlich überließ der Vetter Charlie mit einer aufgesetzten Lässigkeit das Feld.
»Leichtes Spiel ist übertrieben, schließlich wollten wir Stewarts den MacIain erwischen. Wie wir den von seinem Sommersitz gescheucht und das Pack umzingelt haben! Und dann drauf, was das Zeug hält, mit Äxten, Schwertern und Dirks. Das war eine Schlacht!«
Gemurmel entstand und ein kurzer Disput darüber, wo jener ferne Sieg stattgefunden hatte – am Fuß des Black Mount oder gar bei Carnoch, vor der Tür des Chiefs. Und es war zu erwarten, dass dem unweigerlich der krönende Abschluss folgen würde. Der MacIain hatte selbst schon über die Geschichte gelacht, die Sache war immerhin hundert Jahre her, und wer wie er zu siegen wusste, wusste auch mit Großmut zu verlieren. Jetzt aber sträubte sich ihm das Nackenhaar. Denn Clanfehden gab es auch heute, und auf dem engen Raum konnten sie dem Lager zum Verhängnis werden. Der Haufen Camerons zum Beispiel war dem Clan Grant spinnefeind, weil der sich weder für König Jamie noch für Willie erklärt hatte und protestantische Neigungen hegte. Die Grants hatten zwar keine Männer entsandt, doch waren einige gekommen, die zu den Clans ihrer Weiber hielten, zum Beispiel Ian Grant, der eine MacDonald aus Glengarry geheiratet hatte. Am Morgen hatten sechs Camerons den Arglosen umzingelt und ihre Nachttöpfe über seinem Kopf ausgeleert.
»Jetzt gebt Ruhe, das Beste kommt noch«, fuhr Charlie erwartungsgemäß auf. »Zu guter Letzt nämlich schlugen wir dem MacIain und seinem Bruder die Köpfe ab, soffen ein Weinfass leer und warfen die Köpfe hinein. Nun brauchte es einen Boten, der diese Verbrecherköpfe zum Staatsrat nach Edinburgh trug, und es fand sich auch einer, der kleine Andy, ein braver Kerl, nur leider, sagen wir, von Verstand eher schlicht als licht.«
Der Erzähler brach in Gelächter aus, und einige seiner Leute lachten mit. »Andy ritt also mit dem Fass hinterm Sattel nach Edinburgh. Und wie er so ritt, kugelten die Köpfe im Fass umher und polterten aneinander, was den armen Andy beinahe in den Wahnsinn trieb. Endlich hielt er’s nicht länger aus, zügelte den Gaul und brüllte das Fass an: ›Gebt ihr wohl Ruhe, ihr Quälgeister? Was für Christenmenschen seid ihr, nennt euch Brüder und schlagt euch die Köpfe ein!‹«
So viel grölendes Lachen war der abgenutzte Witz nicht wert. Aber es war besser als das Schweigen, die Blicke, die von einem zum anderen flogen, das tonlose Flüstern. Also lachte der MacIain mit.
Sandy Og lachte nicht, sondern erhob sich: »Ich lege mich schlafen. Und das solltet ihr besser auch tun.«
Der MacIain wusste, dass ihn mancher eine Memme nannte. Wie er selbst seinen Sohn nannte, behielt er für sich.
Als am
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