Glencoe - Historischer Roman
nächsten Morgen die Feuer erloschen waren, lag Ian Grant mit durchtrennter Kehle zwischen den Zelten. Der Meuchler hatte so tief geschnitten, als habe er den Kopf vom Rumpf trennen wollen, aber die Augen hatte er seinem Opfer nicht zugedrückt; sie blickten starr und tot in den Himmel.
Der MacIain hatte sich erst niedergelegt, als sich im Lager kein Glied mehr regte, und schreckte benommen auf, als in der Frühe Geschrei losbrach. Einige der jungen Männer heulten wie Weiber, denn sie begeisterten sich zwar für Geschichten wie die von Ewen Cameron, der einem englischen Offizier die Gurgel durchgebissen hatte, aber hatten selbst noch keinen Toten gesehen, der nicht in seinem Bett gestorben war. Mit hämmerndem Herzen zog sich der MacIain das Hemd zurecht, schnürte den Feiliadh um und trat nach draußen.
Der Leichnam war umringt von Kerlen, die er zur Seite stieß, um sich Platz zu schaffen. Einen Atemzug lang hielt er inne; er wollte sich das Bonnet vom Kopf ziehen, merkte jedoch, dass er vergessen hatte, es aufzusetzen. Kaum hob er an, um etwas zu sagen, als von Neuem Gebrüll laut wurde. Ein paar Männer drängten andere zurück, um einen Weg für David Grant, den Schwager des Ermordeten, zu bahnen. Unübersehbar kampfbereit hielt er einen Dirk in der Hand, die Klinge lang wie ein Unterarm.
Don Cameron, einer von Ewens Tausendschaft, stellte sich ihm nicht minder entschlossen entgegen; hinter ihm reihten sich Kumpane mit ebenfalls blankgezogenen Waffen. Der MacIain sah mit einem Blick, was geschehen würde. Sie würden aufeinander losgehen, und einer von beiden würde sterben. Und wie dem Grant das Recht auf Blutrache zustand, so würde der Überlebende einen anderen Rächer gegen sich haben, und das würde sich fortsetzen, bis der Anlass von alledem in Blut ersoffen war.
David Grant hob den Dirk. Im gleichen Moment riss Don Cameron seinen Poinard in die Höhe und vollführte einen Satz, sodass zwischen ihm und seinem Gegner gerade noch ein Mann hätte stehen können. Grant stieß einen angriffslustigen Schrei aus und sprang vor. Da vertrat ihm ein schwerer, ungekämmter Kerl den Weg und stieß ihn grob zurück. »Lass das bleiben, Mann! Das geht so nicht.«
Als der Cameron hinter seinem Rücken mit dem Poinard ausholte, wirbelte Sandy Og herum und schlug dem Angreifer gegen das Gelenk. Dessen Hand gab das Messer frei; es flog zur Seite und ließ die Umstehenden auseinanderstieben. »Bist du taub? Ich habe gesagt, ihr sollt das bleiben lassen.«
»Wer bist du, dass du uns zu befehlen hast?«, knurrte der Grant. »Hör gut zu, Bursche: Ein Grant ist zwei stinkende Camerons wert, und die zwei Stinker werd ich mir für meinen Schwager holen. Mach, dass du weiterkommst, sonst bist du der Dritte, der dran glaubt! Das Recht, meinen Schwager zu rächen, willst du mir ja wohl kaum nehmen.«
»Nein«, erwiderte sein Gegenüber müde. »Ich will dir sagen, dass es so nicht geht.«
Ungeduldig stieß Dave Grant einen weiteren Schrei aus und stürzte mit erhobenem Dirk auf ihn los. Sandy Og packte ihn am Gelenk und lockerte seinen Griff erst, als er die Waffe fallen ließ. »Hilf uns, deinen Schwager zu begraben. Und dann geh zurück an die Arbeit, Dave.«
»Du willst, dass ich das Schwein davonkommen lasse, dass ich so tue, als sei nichts geschehen?«
»Ja, das will ich. Wir haben zweieinhalbtausend Mann in diesem Lager. Mehr werden nicht kommen, und nach allem, was wir wissen, hat MacKay gut die doppelte Zahl. Für uns ist jeder Mann, den wir verlieren, eine Wunde, an der wir verbluten könnten.«
Dave Grant schnaufte. »Sandy Og MacDonald«, sagte er, »ich achte deinen Vater und deinen Prachtkerl von Bruder, also achte ich auch dich. Aber wenn du mich hier und jetzt daran hinderst, für die Ehre meines Clans einzutreten, hast du in mir einen Feind.«
»Das muss ich auf mich nehmen«, sagte Sandy Og ruhig und ließ den anderen los.
Bist du von Sinnen?, wollte der MacIain brüllen. Der Mann ist rasend, halt ihn fest, oder er bringt dich um.
Doch sein Sohn rieb sich lediglich mit einem Finger die Lippen, als täten die ihm vom ungewohnten Reden weh. Grant ballte die Fäuste, wurde erst rot, dann bleich, bückte sich nach seinem Dirk und hob ihn auf. Er sah Sandy Og noch einmal ins Gesicht, drehte sich um und ging schweigend vom Kampfplatz und dem Toten fort.
Am Abend, ehe an den Feuern wieder das Saufen begann, suchte der MacIain Lochiel in seinem Zelt auf. »Ich muss dich sprechen«, sagte er. »Wann beim
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