Glencoe - Historischer Roman
einen nach Hause schicken. Einen, der Euch Enkel schenkt, der Euch den Stamm erhält.«
Der MacIain hätte sich widersetzen können. Vermutlich aber hatte Dundee ihm ein Schreckensbild in den Kopf gepflanzt – den Gedanken, sein Sohn könne sterben.
In der Nacht hörte Sandy Og, wie sein Vater John beschwor. »Du musst gehen. Der General verlangt es, und wir haben uns dreinzuschicken.«
»Lass Sandy Og gehen!«, begehrte John auf. »Dem liegt nichts am Krieg.«
»Sandy Og ist nicht mein Erbe«, erwiderte der MacIain mit einer Zärtlichkeit, die manchen erstaunt hätte. »Sandy Og hat keine Söhne. Aber du hast welche. Du bist Glencoe, a graidh. Geh nach Hause.«
Der Befehl zum Aufbruch erfolgte leise, wie ein Gerücht, das wispernd von einem Mund zum andern sprang. Beim sachtesten Schenkeldruck setzte sich der Schecke in Schritt.
Ich liebe dich , dachte Sandy Og. Die Worte klangen zum Lachen, selbst wenn er sie nicht aussprach. Ich liebe dich, John. Ich liebe dich, Glencoe. Als er sich vor dem Pass im Sattel umdrehte, fiel ihm das Mädchen ein, das sich in seinen Armen umgedreht hatte, jedoch nichts hatte sehen können, weil er ihr die Sicht versperrte. Ich liebe dich, Sarah. Er wünschte sich, es zu brüllen, ein Echo auszulösen, das sich lawinenhaft von Tal zu Tal wälzte. Das Gebrüll aber tobte sich in ihm aus und beruhigte sich.
So zogen sie über den Pass.
Sarah schlief schlecht. In der Nacht glaubte sie, jemand klopfe an ihr Fenster. Wenn sie aufsprang, weil sie hoffte, es sei Sandy Og, der den Tod von ihrer Tür verjagte, war niemand da, nur der Wind, der ihre Wäsche auf den Leinen knattern ließ.
Dennoch war sie in diesen Tagen zufriedener mit sich als sonst. Ihre Wurst ließ sich essen, mit der Webarbeit kam sievoran, und ihr Feuer ging nicht mehr aus. Seltsam, fand Sarah, dass wir unseren Wert in solchen Dingen messen, Wurst machen und Decken weben, als müsse die ganze Welt in Därme gestopft oder zugedeckt werden. In Wahrheit maß sie ihren Wert daran, ob sie war wie die anderen. Eine aus Glencoe.
In der Nacht war ihr ein entsetzlicher Gedanke gekommen: Wenn Sandy Og starb, würde der Clan sie zurück nach Glenlyon schicken. Sie hatte keinen Sohn, der ihnen taugte, und was man über sie und die Campbells flüsterte, hallte von Wänden und Felsklippen. Sie würde aus dem Haus vertrieben werden, das ihr Mann für sie gebaut hatte. Die aus Glencoe würden ihre Erinnerung zertreten wie Laub vom letzten Jahr, und die mit knirschenden Zähnen hatten dulden müssen, dass sie Sandy Ogs Frau war, würden ihr verwehren, seine Witwe zu sein.
Als es an diesem Morgen noch immer regnete, rief die Lady Glencoe die Frauen der Familie in ihrer Hütte zusammen. Eiblin, Gormal, Ceana und Sarah. Sie sprach von der Sorge um die Ernte und mahnte die Frauen, ein Beispiel zu geben und sparsam zu sein. Eiblin wimmerte fortwährend leise vor sich hin, weshalb ihr Gormal von Zeit zu Zeit auf den Hinterkopf schlug.
»Wir schlachten zu viel«, sagte die Lady. »Und wann die Männer wiederkommen, weiß der Himmel. Wir rechnen besser damit, dass uns in diesem Jahr keiner die Herden aufstockt, und versuchen zu erhalten, was wir haben. Milch ist ja reichlich da, und Kerle haben wir keine zu füttern. Es wird uns nicht schwerfallen, mit wenig Fleisch auszukommen.«
»Und was tue ich dann den ganzen Tag?« Eiblin sprach aus, was gewiss nicht allein sie dachte. Der Müßiggang, den der Sommer brachte, war süß, solange niemand Sorgen hatte. Wenn aber Furcht sich wie ein Regenhimmel über den Dächern ballte, war Arbeit Segen.
Niemand antwortete. »Wir wollen jetzt singen«, sagte die Lady stattdessen, und so sangen sie zusammen Colins Rinder ,das Lied, das Glencoe schützte. Sooft es gesungen wurde, stimmten die Fianna in ihren Gipfeln ein, behaupteten die aus Glencoe, aber Sarah hörte keine Fianna, sie hörte nur die vier Stimmen von Gormal, Eiblin, Ceana und der Lady, und die fünfte, die fehlte, weil sie selbst nicht mitsang. Dann hörte sie das Klopfen der Fäuste, die unbeherrscht an die Tür trommelten.
»Wer stört uns?« Die Lady fuhr auf.
Una stürmte in die Hütte, Gormals Tochter, ein Mädchen von zehn Jahren, das so groß wie seine Mutter werden würde. Ihr Haar hing in nassen Zöpfen, und ihr Atem ging hart. »Ein Mann, Mutter!«, brachte sie heraus. »Auf dem Joch ist ein Mann.«
»Ein Bote?«, fragte Gormal.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
Es war Eiblin, die sich an allen
Weitere Kostenlose Bücher