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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Mädchen.«
    Ceana war kein kleines Mädchen, sondern eine Frau von über zwanzig, und sie kannte die Gier in der zerriebenen Stimme besser, als ihr lieb war. »Wenn ein geiler Bock nach dir langt, stell dich nicht dumm, spiel nicht die empörte Unschuld«, hatte die Lady ihr beigebracht. »Sag ihm, dass du weißt, wonach er lechzt, und dass er es nicht haben kann.«
    »Höre«, sagte sie beherrscht, »du sollst deine Suppe essen, ehe sie kalt ist, und dann geh in deine Hütte und sieh zu, dass du trocken wirst. Um nach Mädchen zu schielen, bist du zu alt. Dich trifft der Schlagfluss, wenn du’s tust.«
    Sie war überrascht, als der Uralte tatsächlich gehorchte, wenn auch die Höhlenaugen an ihr kleben blieben.
    »So ist ’s brav«, lobte sie. »Jetzt nimm den Löffel und iss.«
    Auch diesmal folgte er, griff nach dem Löffel und tauchte ihn in die Suppe, sah dabei aber weiter Ceana an und verschüttete mehr, als er zum Mund führte. Als er schluckte, hüpfte sein knorpeliger Kehlkopf. »Immer allein, immer allein.«
    »Das ist eben so«, sagte Ceana leicht. »Du bist nicht der Einzige, weißt du? Ich bin auch allein, und sich zu bejammern hilft gar nichts.«
    Eifrig nickte er, senkte den Löffel und streckte die Hand so schnell nach ihr, dass sie nicht ausweichen konnte. Die klauenhaften Finger schlossen sich um ihren Arm. Ceana erstarrte.  
    »Die Sitheachan «, krächzte der Alte, »die schwarzen Feen, die am Fluss wohnen, in den Uferhöhlen bei den Nachtkerzen, haben meine Kindlein gestohlen. Glaubst du, einer vergisst die Gesichter von den Kindlein, die er in seinen Armen auf derWelt begrüßt hat? Immer allein bin ich mit den Gesichtern von meinen gestohlenen Kindlein. Nicht mal das Lied hab ich ihnen gesungen, nicht mal das.«
    Wenn ihnen ein Kind gefiel, raubten die Sitheachan es bei Nacht aus seiner Wiege, verschleppten es in ihre Höhlen und legten den Balg eines Tieres an seiner Statt auf das Lager. Anderntags war das Wehgeschrei groß, und kein Kind war je von dort wiedergekommen. Aber der Uralte hatte doch nie Kinder gehabt!
    Als der Griff der Krallenhand sich lockerte, entwand sich Ceana rasch und stand auf. Der Uralte nahm den Löffel und schaufelte sich drei Maulvoll Suppe ein. Dann trank er Wein, musste husten und spuckte alles aus. Ceana sah er nun nicht mehr an, und er schwieg auch, als sie sich rückwärts, Schritt um Schritt, von dannen schlich.
    Wenige Schritte von der Hütte des Alten entfernt erschien Ceana das Erlebte schon nicht mehr als wahr. Aber es gärte, wühlte, ätzte in ihr. Und als sie wieder daheim war, überfiel sie die Einsamkeit mehr denn je. »Komm her zu mir!« In ihrer Not zog sie sich das kleine Lamm an den Leib. Das Herz des Tieres hämmerte gegen ihres. Seine Wolle war weich und schmiegsam, doch ehe sie drahtig wurde, musste sie es dem stummen Ben zum Schlachten bringen.
    Auf einmal gab es für Ceana so viele Gründe zu weinen, dass es sich nicht länger aufhalten ließ. Ich bin allein, und das arme Lamm ist allein, und irgendwann bin ich alt und heule wie Calum um Kinder, die ich nie hatte. Der einzige Mensch, der zu mir gehört, rennt für König Jamie in eine Wand von Schwertspitzen, und wenn er stirbt, wird man es mir nicht sagen, sondern der Campbell, die nichts von ihm weiß.
    Das Lamm zog seine raue Zunge über ihre Wange und leckte ihr die Tränen vom Gesicht. Ceana musste lachen. Sie hielt es von sich weg, sah, wie seine kleine Zunge sich noch immer rollte und wie die Läufe zornig durch die Luft schlugen. Vielleicht erlaubt mir die Lady, es zu behalten, überlegte sie. Vielleicht wird Sandy Og nicht sterben. Vielleicht spürt er zuweilen, dass ich ihn schütteln will und ihm das Sterben verbieten.

    Der nächtliche Regen war gerade versiegt; der Morgen roch nach feuchter Erde und Gras. Wenn ein Tag beginnt, an dem wir sterben könnten, riecht die Welt wie nie zuvor nach Leben , dachte Sandy Og. Im Grau der Dämmerung brachen die Männer das Lager ab.
    Als die meisten schon ihre Last geschultert hatten und niemand mehr auf ihn achtete, ritzte Sandy Og dort, wo sein Zelt gestanden hatte, die Namen seiner Frau und seines Sohnes in den Boden. Er kam sich albern vor, aber es hätte ihn bedrückt, es nicht zu tun.
    Er ging zu seinem Schecken und ließ sich Zeit, als er Zaum und Sattelgurte prüfte. Heute gab es kein Piobaireachd , keine Musik zum Abschied und so wenig Lärm wie möglich. Und doch hatte die Spannung des Aufbruchs ihren eigenen Klang. Gleich würde

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