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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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tauchte, rannen Ströme. Hätte Duncan geweint, wäre es nicht aufgefallen, dennoch presste er die Lippen aufeinander, um sich zu beherrschen.
    »Sprich mit mir, Duncan!« Sarah wollte ihm die Hände an die Wangen legen, doch er wich ihr aus. Wie so oft stellte sie fest, was für ein schönes Kind er gewesen wäre, hätte man über sein Bein hinwegsehen können. Er hatte Sandy Ogs eigentümliche Zartheit um die Augen, Verletzlichkeit in einem Gesicht, das einst harsch geschnitten sein würde, Ungeschütztes, das Sarah so sehr berührte, dass sie schweigen musste.
    Auch Duncan schwieg verbissen, mit gefurchter Stirn, zu stolz, sich nasse Strähnen vom Gesicht zu streichen.
    Mit staubtrockenem Gaumen krächzte Sarah: »War es Angus? Eiblins Junge? Ich will, dass du es mir sagst.« Ich wünschte, dass ich die Macht hätte, dich zu hüten. Eine Schäferin bin ich, die ihr Lamm den Wölfen aussetzt.
    »Alle«, sagte Duncan und biss rasch wieder die Lippen zusammen.
    » Alle schlagen dich? Du hast keinen einzigen Freund?«
    Die Lippen schlossen sich fester, aber es half nicht länger. Die Lider zuckten. Muschellider, weiche Wimpern, kleine Spiegelbilder von Sandy Ogs Lidern. Sarah hätte ihm gebieten sollen, nicht zu weinen, aber sie ließ es.
    Als er genug geweint hatte, stand sie auf und räumte sein Essen fort. Dann ging sie zum Feuer, um ihm Ziegenmilch zu wärmen und Honig einzuträufeln, denn nach Milch und Honig würde er zumindest schlafen.
    »Mutter«, sagte er jäh.
    Sie drehte sich um.
    »Ist mein Vater eine Memme? Muss König Jamie sich schämen, weil solche Männer für ihn kämpfen?«
    »Aber nein!«, rief Sarah und wunderte sich über sich selbst, weil sie für gewöhnlich ewig zu jeder Erwiderung brauchte.
    »Ist mein Vater ein Schlappschwanz?«, fragte Duncan lauernd. »Einer, der keine Kinder zeugen kann?«
    »Schweigst du still?« Sie ging zu ihm und schlug ihm sachte ins Gesicht. Dunkelblau und erlöst traf sein Blick den ihren. Das Kind, das dein Vater gezeugt hat, ist meines. Und wenn all die Weiber meinen, ich müsse es tauschen wollen, und wenn der Vater selbst es tauschen will, ich tauschte es gegen keinen heilen Sohn der Welt.
    »Ist dann mein Vater ein Held?« Das Flehen in der Kinderstimme ließ sich nicht überhören.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Sarah. Unsere Kinder, dachte sie, haben in solchen Nebeln, solcher Verstörung, ein Recht auf Eltern, die klar zu antworten wissen. Dennoch antwortete sie ehrlich: »Ich weiß nicht einmal, was das ist.«
    »Das weißt du nicht?« Duncan sprang auf. »Ein Held ist ein Mann wie Finn, einer, der für den König eine Schlacht gewinnt und den Thronräuber aus unserem Land vertreibt. So einfach ist das.«
    So einfach, Duncan? Sie musste im Stillen über sich lachen, weil sie die Welt, soweit sie sich erinnerte, nie einfach, sondern immer kompliziert gefunden hatte. »Vielleicht hast du recht«, sagte sie. »Vielleicht ist aber ein Held auch ein Mann, der tut, was getan werden muss. Lass uns morgen darüber nachdenken, ja? Jetzt wollen wir schlafen.«
    »Und die Kerze am Brennen halten, wie der Vater es mag? Damit keinen von uns in der Nacht der Tod holt?«
    Damit keiner, den in der Nacht der Tod holt, vergessen wird. So taten es alle. Seit Hunderten von Jahren. So hatten es die Fianna getan, die in den Gipfeln schliefen.
    »Aber ja doch«, sagte Sarah. »Aber ja.«

    General MacKays Männer hatten ihre Kanonen aufgestellt. Ihre drei Mündungen bildeten das Herz seiner Formation, wie die knapp sechzig Berittenen das Herz von Dundees Formation bildeten. Die da, dachte Sandy Og, der am rechten Rand der Reiter eingeteilt war und auf eine der Kanonen starrte. Die da ist für mich. Dann fragte er sich, was wohl alle wissen wollten: Wird es laut sein? Wird es schnell gehen? Was ist danach?
    Dundee hatte sein Heer in drei Flügel geteilt und in breiten Abständen aufgestellt, um seine Linie zu strecken, ohne an Tiefe zu verlieren. An die Flanke der Reiterei hatte er die Clanranalds beordert, dazu die MacDonalds aus Glengarry und Glencoe. Hätte Sandy Og den Kopf zur Seite gedreht, hätte er vielleicht seinen Vater gesehen, und vielleicht hätte der ebenfalls den Kopf gedreht. Verzeih mir, hätte Sandy Og gerne gesagt, nicht nur dies, nicht nur, dass ich sogar hier einen Narren aus mir mache, sondern jede Dummheit, jede Enttäuschung. Aber der Vater und er hatten sich nie mit Blicken verständigt, es war, als spreche der Blick des einen Englisch und der des

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