Glencoe - Historischer Roman
Blut spritzen sehen und vor Schmerz gebrüllt, aber dem einen, dem Nichtvorstellbaren, war er bisher entronnen. Jetzt schwappte der Schlachtlärm über ihm zusammen, und die Worte seiner Lehrer hallten in seinen Ohren wider: Wer nicht sterben will, muss töten.
Ich will leben! Die Angst presste ihm den Magen zum Klumpen. Hätte er Zeit dazu gehabt, hätte er sich erbrochen, das Innerste ausgespuckt.
Um das Claymore mit der nötigen Kraft zu führen, brauchte es beide Hände; ein Reiter musste imstande sein, sein Pferd durch den Druck seiner Schenkel und sein Gewicht zu lenken. Deshalb war Sandy Og unter Dundees Berittenen der Einzige, der die veraltete Waffe benutzte. Dundee hatte ihm leichteres Korbschwert geben wollen, doch auf den Waffenkarren lag kaum mehr ein Tischmesser, und Sandy Og, der nur langsam lernte, kannte dieses Schwert von klein auf und hätte sich nur schwer an eine fremde Waffe gewöhnt.
Hart zwang er den Schecken vorwärts. Einmal mehr zeigte sich, wie sehr es ein Kriegerpferd war; es galoppierte geradeaus, obwohl es in seiner Natur lag, einem Hindernis auszuweichen. In seiner und meiner Natur. Aus den Augenwinkeln sah Sandy Og, wie die ersten Fußtruppen in feindliche Reihen brachen und Schwerter, Piken und die Spitzen ihrer Targes nach Männern und Pferden stießen. Gleich darauf ragte ein gegnerischer Reiter vor ihm auf. Sandy Og schwang das Schwert über dem Kopf aus und reckte sich rasch aus der Deckung des Schildes. Das Pfeifen einer Klinge ließ ihn herumfahren. Schon war sie niedergesaust, grub sich in seine Schulter. Doch noch ehe sie sich festbeißen konnte, schlug Sandy Og zu, rechts gegen den Kopf des Angreifers, links gegen den Brustkorb, dann blind überallhin. Was die Axt des Gegners nicht vermochte, vollbrachte das Claymore: einen Knochen mit einem einzigen Hieb zu zerschmettern.
Vor Sandy Ogs Augen türmten sich Wellen. Rot, Rot, Rot. Schon wirbelte sein Oberkörper zu dem nächsten Gegner herum, seine Arme holten neu aus und hieben zu; eine Hand zog das Gewicht der Waffe, die andere stieß sie am Hals des Schecken vorbei nach vorn. Noch im Schlag erkannte Sandy Og, warum der Mann ihm nicht das Bajonett in den Rücken gerammt hatte, als er dessen Gefährten tötete: MacKays Leute hatten nicht mit dem Sturm gerechnet und keine Zeit gehabt, die Bajonettspitzen für den Nahkampf in die Mündungen ihrer Musketen zu schrauben. Die Überrumpelung war geglückt. Hilflos fingerten die Hände des Gegners an der Spitze des Laufs. Ich sollte diesen Mann nicht töten, fuhr es Sandy Og durch den Kopf. Einen Wimpernschlag später traf seine Klinge auf.
Während er weiter um sich hieb, eine Schneise in die zu flache Formation des Gegners hackte, verdunkelte sich der rote Schleier vor seinen Augen. Eisen und Blut – der grausige Geschmack der Schlacht lag ihm auf der Zunge. Sein Gegner, das Kenmure-Regiment in der Mitte, war das unerfahrenste in MacKays Heer, es hatte den Hochlandsturm wohl ebenso für ein Ammenmärchen gehalten wie den großen Mann von Ballachullish. Aber der große Mann von Ballachullish stieg tatsächlich für den aus dem Moor, dem ein Unglück bevorstand, so wie die Bean Nighe, die Wäscherin mit dem einen Nasenloch, ein Leichentuch auswusch, wenn jemand sterben musste.
Längst schwiegen Kanonen und Musketen, der grausige Singsang aus Wutgebrüll und Todesschreien erfüllte das Tal, aus dem MacKays Männer die Hänge hinauf oder den Fluss hinunter zu fliehen versuchten. Nicht Besinnung brachte Sandy Og zu sich, sondern völlige Entkräftung. Sein letzter Schlag traf ins Leere, die Arme wogen so schwer, dass ihm das Schwert entglitt, und hätte ihn nicht Furcht befallen, auf einem der kaputtgehackten Körper zu landen, hätte er aus dem Sattel rutschen wollen. So ließ er sich nach vorn sacken, lehnte den Kopf an den Hals des Schecken, begrub das Gesicht in dessenMähne. Die Stille um ihn, nur noch Scharren von Schritten und Gemurmel, ließ keinen Zweifel: Die Schlacht war geschlagen. Mochte ihm auch zumute sein, als habe er die Ewigkeit durchquert, war wohl kein Viertel einer Stunde vergangen.
Er war allein, weder Mann und Pferd rannten länger gegen ihn an. In der Stille hörte er Fluss und Bäume wispern. Es war jetzt nahezu gänzlich dunkel, aus den zertrampelten Wiesen stieg Nebel, und der Mond schien in einer so schmalen Sichel, dass Sandy Og den Arm strecken und die Hand um sie hätte krümmen können. Als Kind hatte er das getan, den Mond in die Hand genommen,
Weitere Kostenlose Bücher