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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Sassenach, der nur sah, was er sehen wollte. Neid aber hatte Ceana nie an ihm bemerkt – wie auch? Einem, der niemand als er selbst sein konnte, musste Neid im Innersten fremd sein. »Selbst wenn es so wäre, wie du sagst«, versuchte sie Eiblin zu beschwichtigen, »seit wann hört der MacIain auf Sandy Og? Er hat John heimgeschickt, um ihn zu schonen, Eiblin, um sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen.«
    »Ist das nicht verdreht?« Eiblin schlug nach den Mücken und sprang auf. »Weshalb sollte einer in der Schlacht seinen wichtigsten Mann schonen? Weshalb sollte er gerade den nach Hause schicken, der sein Letztes gäbe, um zu siegen?«
    Ceana hatte sich die Frage selbst gestellt, wie es gewiss jede Frau in Glencoe getan hatte. Die Antwort, die Ceana eingefallen war – des Nachts, nicht am Tage –, war zu erschreckend, um sie auszusprechen. Wenn es zutraf, wenn es in diesem Krieg nicht darum ging, den Gegner zu besiegen, sondern darum, ihn auszulöschen, dann wünschte Ceana John den Tod. Damit Sandy Og lebte. Sie war entsetzt von sich, und dennoch schrie alles in ihr: Wie kann jemand Sandy Og opfern? Sandy Ogs Augen, das Flattern seiner Lider, das sich selbst verspottende Kräuseln der Brauen, verfolgten sie durch Tage und Nächte. Sie wurde wahnsinnig daran. Auch jetzt. »Gehen wir weiter?«, riss sie sich hastig aus den quälenden Gedanken und stand auf.
    Eiblin ließ den Kopf hängen, folgte ihr und weinte vor sichhin. »Im Grunde könnte ich hier stehen bleiben und meinem John das Lied singen«, sagte sie plötzlich, »weißt du das? Colins Rinder. Mein John ist ja nicht mehr er selbst, er ist so gut wie tot.«
    Sie hatte den Mund kaum geschlossen, als ihr Ceanas Hand daraufklatschte. »Hörst du jetzt auf zu winseln, du kreuzdummes Ding?«, schrie sie. »Hast du die Frauen gesehen, die sich aus der Siedlung schleichen, weil sie’s nicht aushalten, ihren Toten das Lied zu verweigern, und die dann doch wieder umkehren, weil sich das bisschen Hoffnung nicht ersticken lässt? Hast du die gesehen? Hast du ein einziges Mal mit denen Mitleid gehabt, nicht nur mit dir selbst?«
    Ungläubig starrten die Frauen einander an. Ceana hatte nie zuvor einem Menschen eine Maulschelle verpasst, und Eiblin hatte gewiss schon lange keine mehr bekommen. Auch hatte keine von ihnen Ceana bisher schreien hören. Eiblin rieb sich Lippe und Wange: »Manchmal merkt man dir recht deutlich an, wer dein Vater ist, weißt du?«
    Ceana hätte einwenden können, dass der MacIain nicht ihr Blutsvater war, aber sie tat es nicht, denn sie hatte dasselbe gedacht. Wie der MacIain hatte sie jede Beherrschung verloren und brachte nun die Zähne nicht auseinander, um sich zu entschuldigen. Es war Eiblin anzurechnen, dass sie nicht darauf wartete, sondern sich wortlos auf Ceanas Arm stützte und sich mit ihr wieder an den Abstieg machte.
    Im Tal, in einer Biegung des Flusses, passierten sie die Senke, in der ein Teppich von Nachtkerzen wuchs. Nachtkerzen waren in Glencoe nicht heimisch; der Vater des MacIain hatte sie von irgendwoher mitgebracht, und sie waren geblieben wie Gäste, denen es im Schatten gefiel. Es waren seltsame Pflanzen: In der Abenddämmerung entwickelten sie in einer solchen Geschwindigkeit ihre Blüten wie kein anderes Gewächs. Binnen weniger Herzschläge faltete sich die goldgelbe Blüte auf, und bis zum folgenden Mittag war sie meist schonverblüht. »Ich mag die nicht«, bekundete Eiblin und wollte Ceana rasch an der Senke vorbeiziehen.
    »Warum nicht?«
    »Ach, was fragst du mich? Das ist doch keine redliche Pflanze, so ein Gewächs, das sich im Schatten herumdrückt und nur bei Nacht herauskraucht. Die bringt Unglück, wusstest du das nicht?«
    Ceana schüttelte den Kopf. Wie konnte eine Pflanze unredlich sein?
    »Irgendwer hat gesagt: ›Wer denen zusehen will, wie sie das Blühen anfangen, stirbt‹, und einer ist schon gestorben, auch wenn’s Jahre her ist und verschwiegen wird. Das ist, als ob du den großen Mann von Ballachullish übers Moor gehen siehst.«
    »Der große Mann von Ballachullish kündigt ein Verhängnis an«, murmelte Ceana, wiewohl sie am liebsten zu alledem kein Wort gesagt hätte. Wir werden alle verrückt vom Warten. Wir reden zu viel von Tod und Verhängnis und Vernichtung; die Männer müssen endlich wiederkommen, damit wir die Verlorenen besingen und uns darum scheren können, wie die Lebenden mit dem, was an Rindern bleibt, den Winter überstehen.
    Von Ballachullish aufs Dorf zu kam nicht

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