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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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Luft, wie es nur ein junges Lamm oder ein sehr erschrockenes Schaf kann. Hinter ihr trat Sir Ritchfield aus dem Nebel. Und vor ihr stand Sir Ritchfield auf George’s Place. Maple trat ehrfürchtig ein paar Schritte zurück.
    Die beiden Widder standen sich gegenüber wie die Spiegelbilder diesseits und jenseits einer Pfütze. Nur dass die schwarzen Vögel kein Spiegelbild warfen. Maple erinnerte sich an das Feenmärchen, daran, dass auch die Toten keine Spiegelbilder haben. Beide Widder senkten die Hörner und kamen langsam aufeinander zu, völlig im Gleichtakt, wie es auch Spiegelungen getan hätten. Maple überlegte, wer von beiden wohl der echte Ritchfield, wer das Spiegelbild war. Die Hörner stießen zusammen, mit einem vollen, klingenden Ton. Beide hoben wieder die Köpfe.
    »Ich habe mich getraut«, sagte Ritchfield mit den Krähen.
    »Du hast dich getraut«, bestätigte Ritchfield ohne Krähen.
    Auf einmal sah er verwirrt aus. »Kein Schaf darf die Herde verlassen«, blökte er. »George kam zurück, und er roch nach Tod.«
    Er schüttelte verstört den Kopf. »Hätte ich nur den Mund gehalten, so eine Dummheit …«
    Und Ritchfield ohne Krähen drehte sich um und trottete mit fahrigen Bewegungen auf die Klippen zu. Der andere Ritchfield stand da und sah ihm mit einem beinahe zärtlichen Ausdruck in den Augen nach. Wie auf ein Kommando hoben sich alle drei Krähen zugleich in die Lüfte, und es gab wieder nur einen Ritchfield auf der Weide. Einen sehr zottigen Ritchfield. Einen Ritchfield, der roch wie eine Herde halber Schafe.
    Miss Maple sah besorgt hinter dem anderen Ritchfield her, der verwirrt an den Klippen entlangwanderte. Sie drehte sich um und lief ihm nach.
     
    *
     
    Normalerweise waren Cloud und Mopple jeden Morgen die ersten Schafe auf der Weide. Mopple, weil er früher Hunger bekam als alle anderen, Cloud, weil sie der Überzeugung war, dass Morgenluft die Wolle zum Wachstum anregt.
    »Glaubt ihr etwa, ich bin von Natur aus so wollig?«, pflegte sie zu fragen.
    »Jaa!«, blökten dann die Lämmer und einige der älteren Schafe, die sich immer noch für Clouds überlegene Wolligkeit begeistern konnten.
    Cloud verdrehte dann geschmeichelt die Augen. »Vielleicht ist das so«, sagte sie, »aber glaubt nicht, dass ich nicht auch etwas dafür tue!« Alle Schafe, die sich dafür interessierten, konnten sich dann einen längeren Vortrag über die Segnungen der Morgenluft anhören. Aber seltsam: Obwohl Clouds Predigten sehr beliebt waren, fand sich nie auch nur ein einziges Schaf bereit, sich für seine persönliche Wolligkeit früher als die anderen aus der flauschigen Umarmung der Herde zu stehlen.
    Diesen Morgen schlief Mopple the Whale noch die Strapazen seiner ersten Kolik aus, und Cloud stand allein auf der taufrischen Weide. Allein? Nicht wirklich. Natürlich gab es Gabriels Schafe, die ohne Heuschuppen zwangsläufig früh auf waren und Clouds Theorie von der natürlichen Wolligkeit der Morgenstunden einen herben Schlag versetzten.
    Aber zu Clouds großer Überraschung war auch Sir Ritchfield schon wach. Er stand auf George’s Place und graste würdevoll vor sich hin. Cloud vergaß vor lauter Empörung ihren morgendlichen Seelenfrieden. Sie plusterte sich vor Ritchfield auf.
    »Weißt du eigentlich, wo du hier bist?«, fragte sie.
    »Zurück«, sagte Ritchfield gerührt. Er senkte wieder den Kopf in die noch unversehrten Kräuter von George’s Place und graste vorsichtig um einige der leckeren Nasenwohlblumen herum.
    »Du weidest auf George’s Place! « , blökte Cloud. »Wie kannst du nur!«
    »Einfach«, sagte Ritchfield. »Über die Hügel, übers Feld, durch den alten Steinbruch, über die Leiche, durch die Welt und zurück. Sich nicht vom Metzger erwischen lassen. Einfach, denn der Aasfresser fürchtet die Toten. Den Kopf in den Wind, die Augen frei und die Erinnerungen nicht aus dem Fell schütteln. Unmöglich. Einfach, wenn man es tut.«
    Cloud starrte Ritchfield ängstlich an. Ihre Empörung war verraucht. Irgendetwas stimmte mit Ritchfield ganz und gar nicht. Sie blökte unruhig. Ritchfield schien das nicht zu gefallen. Er trat näher zu ihr heran und raunte ihr ins Ohr. »Keine Sorge, Wollige. Das ist nicht George’s Place. Kein Schaf wird an George’s Place rühren, denn George’s Place ist unter dem Dolm, wo kein Gras mehr wächst, wo der Schäfer mit den blauen Augen sitzt und wartet. George’s Place ist sicher, bis der Schlüssel warm ins Licht kommt. Wer hat den

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