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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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Schlüssel?«, fragte er.
    Seine Worte waren ganz offensichtlich zur Beruhigung gedacht. Ritchfields Stimme klang sanft. Trotzdem floh Cloud verwirrt Richtung Heuschuppen.
     
    *
    Wenig später hatte sich die ganze Herde auf George’s Place versammelt. Sie standen in respektvollem Abstand um Sir Ritchfield herum, der keine Anstalten machte, George’s Place zu verlassen. Die vielen Schafe schienen Ritchfield zu irritieren.
    »Manchmal ist Alleinsein ein Vorteil«, sagte er.
    »Wie meint er das?«, fragte Heide. Die anderen Schafe schwiegen.
    »Es klingt gar nicht nach Ritchfield«, sagte Lane schließlich.
    »Er riecht seltsam«, sagte Maude. »Krank. Oder vielleicht nicht krank, aber nicht wie Ritchfield. Überhaupt nicht wie ein Schaf. Oder zumindest nicht wie ein Schaf. Wie ein junger Widder mit nur einem Horn. Und wie ein erfahrenes Mutterschaf. Und wie ein junges Schaf, das noch keinen Winter gesehen hat, mit ganz dichter Wolle. Und wie ein sehr alter Widder, der keinen Winter mehr sehen wird. Aber dann doch wie keines davon. Irgendwie – halb.« Maude war mit ihrer Weisheit am Ende.
    »Auslauf!«, platze Mopple hervor. »Ritchfield läuft aus!«
    Das musste es sein! Ritchfields Erinnerungsloch war in der Nacht so groß geworden, dass alle möglichen und unmöglichen Erinnerungen nun einfach so aus ihm herausströmten.
    Kein Schaf wusste, was zu tun war. Ritchfield war der Leitwidder, aber natürlich konnte man nicht erwarten, dass er selbst etwas unternehmen würde. Maple war verschwunden. Othello war nirgends zu entdecken. Mopple, das Gedächtnisschaf, hatte sich auf die andere Seite der Weide geflüchtet, weil er befürchtete, das Erinnerungsloch könne auf irgendeine Art ansteckend sein. Zora starrte Ritchfield einen Moment lang mit seltsamen Augen an, dann floh sie auf ihren Felsen. Schließlich nahm Ramses die Sache in die Hand. Er führte die Herde ein Stück von Ritchfield weg, damit er nicht hören konnte, was sie beratschlagten.
    Zuerst einmal beratschlagten sie gar nichts. Niemand wusste, wie man ein Erinnerungsloch stopft. Wenn sie ehrlich waren, konnten sie sich nicht einmal vorstellen, was ein Erinnerungsloch war.
    »Wir müssen ihn von George’s Place wegbekommen, bevor er ihn ganz wegfrisst«, sagte Ramses.
    »Wie?«, fragte Maude. »Er ist der Leitwidder.«
    »Er ist nicht der Leitwidder, nicht mehr«, sagte Ramses. »Wir müssen es ihm nur noch klar machen.«
    Es war immerhin ein Vorschlag. Die verwirrten Schafe hätten sich für so gut wie jeden Vorschlag begeistern können. Ehe Ramses wusste, wie ihm geschah, war es schon beschlossene Sache, dass er Ritchfield klar machen sollte, dass es nun mit der Leitwidderei vorbei war.
    Die Schafe ballten sich gespannt zusammen, während Ramses zögernd zu Ritchfield hinübertrabte. Ramses schluckte. Es kam ihm vor, als hätte Ritchfield nie majestätischer und ehrfurchtgebietender ausgesehen als heute. Er wollte gerade einen respektvollen Gruß murmeln, als Ritchfield ihn auch schon unterbrach.
    »Ungewundener, Kurzhörniger«, sagte er zu Ramses. Das saß. Ramses’ Hörner waren tatsächlich noch kaum mehr als zwei kleine Spitzen. »Spar dir den Atem. Spar dir das Klarmachen. Merkst du nicht, wie klar der Tag ist? Klarer als alle Tage. Meine Vögel wissen es und erheben sich früh. Ritchfield weiß es und sucht seine Erinnerungen. Klar, dass ich kein Leitwidder bin. Klar, dass mich kein Schaf auf der Welt von dieser schönen Weide bringen wird, wenn ich nicht will. Nur ihr«, sein Blick streifte die anderen Schafe, die mit großen, verwirrten Augen Richtung George’s Place starrten, »ihr könntet klarer sein.«
    Ohne ein einziges Wort gesagt zu haben, trabte Ramses zurück zu seiner Herde.
    »Er hat es gehört«, blökte Maude. Anscheinend hatte das Erinnerungsloch Ritchfields Ohren geschärft. Sie nahmen sich vor, in Zukunft mit abfälligen Bemerkungen wieder vorsichtiger zu sein. Zur Sicherheit trabten sie noch weiter von George’s Place weg, bis hinter den Dolm.
    Dort trafen sie Othello, der sich im Schatten des Dolms versteckt hatte und mit großer Aufmerksamkeit zu Sir Ritchfield hinüberblickte.
    »Othello«, seufzte Heide erleichtert, »du musst ihn von George’s Place vertreiben!«
    Othello schnaubte spöttisch. »Ich bin doch nicht verrückt«, sagte er. Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen.
    Othellos seltsame Antwort verunsicherte die Schafe noch mehr. Othello kannte die Welt und den Zoo. Er wusste etwas, was sie nicht wussten.

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