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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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eng sein um ihn herum. Sehen konnte er das nicht. Plötzlich verstummten die Hunde. Melmoth hörte nur noch ihr Hecheln und das Spritzen von Kies auf Stein. Zu nah, um zu bellen. Zu eifrig.
    »Stein und Bein!«, schnaubte Melmoth.
    »Ganz allein«, flüsterten die Felswände zurück.
     
    *
    »Erkälte dich nicht«, hatte Ritchfield zum Abschied gesagt, etwas unbeholfen. Melmoth warf stolz den Kopf hoch. Seine Augen funkelten. Was wusste Ritchfield von den Gefahren des Alleinseins? Erkältungen gehörten bestimmt nicht dazu. Melmoth hatte tagelang darüber nachgedacht, und er war zu dem Entschluss gekommen, dass es diese Gefahren gar nicht gab. Hirngespinste. Schreckgespenster verängstigter Milchlämmer, Schauergeschichten besorgter Mutterschafe. Was taten die Schafe in der Herde? Grasen und ruhen. Was würde er ohne Herde tun? Grasen und ruhen natürlich. Der Rest war Einbildung. Es gab keine Gefahr. Keine einzige.
     
    *
    Felswände. Der Mond war für einen Moment am Himmel aufgetaucht, und Melmoth konnte sie zu seiner Linken und Rechten vorbeifliegen sehen. Nicht wirklich hoch, aber zu hoch und zu steil für ein Schaf. Stock und Stein, Stein und Bein.
    Stein.
    Jetzt war alles vorbei. Die Felswände schlossen sich um ihn. Eine Sackgasse, ein Blindweg. Er musste irgendwie die Felswände hochklettern. Musste. Links von ihm gab es eine Stelle, wo es nicht ganz so steil aussah. Eine Ladung Geröll, eine natürliche Rampe. Melmoth stolperte hinauf. Zuerst ging es ganz gut. Aber dann lösten sich kleine Steinlawinen, losgetreten von seinen Hufen. Es war, als würde er versuchen, auf fallendem Regen zu laufen. Unmöglich. Melmoth wusste das. Der Aasfresser schien es auch zu wissen. Ein furchtbarer Schrei. Er rief seine Hunde zurück. Die Hunde waren jetzt nicht mehr nötig. Schritte schlurften durch die Stille. Melmoth war geschlagen. Auch seine Angst war geschlagen. In den letzten Sekunden seines Lebens entschloss sich Melmoth, ein wirklich mutiges Schaf zu sein. Er würde dem Metzger entgegentreten. Langsam und zitternd kletterte er die Geröllrampe wieder hinunter. Stein … und Bein … Stein und … Bein … und …
    Bein.
    Aus dem Geröll, das er auf seiner Flucht losgetreten hatte, ragte ein Menschenbein.
     
    *
    Natürlich hatte er sich doch erkältet, gleich in der ersten Nacht, an eine stachelige Weißdornhecke geschmiegt und nur notdürftig vor dem eisigen Novemberwind geschützt. Geruht hatte er in dieser Nacht nicht. Nur auf die Geräusche ringsumher gelauscht. Und sich nach dem Tag gesehnt. Einem Tag, der sicherlich großartig werden würde. Tagsüber war es dann tatsächlich besser gewesen. Zeitweise. Melmoth war mit tropfender Nase durch das Graugrün der winterlichen Heide gestreift und hatte vorsichtig an strohigen Grasbüscheln genagt.
    Gegen Mittag hatte er dann auf einem Hügel gestanden, von dem aus ein Schaf mit guten Augen sehr weit sehen konnte. Melmoth hatte hervorragende Augen und richtete sie sofort auf den blauen Meeresstreifen am Horizont. Vorgeblich, um sich zu orientieren. Insgeheim, um nach wolligen, weißen Punkten Ausschau zu halten. Aber er sah nichts. Nichts. Nicht einmal eine Wolke am Himmel. In keiner Richtung. Melmoth war bis zum Horizont allein. Eine unsinnige Euphorie kroch ihm vom Kopf in die Glieder, und er strengte seine Augen noch stärker an, um immer weiter in seine Einsamkeit zu spähen. Als die Euphorie begann, sich in Panik zu verwandeln, galoppierte Melmoth in wildem Zickzack durch die leeren Hügel.
     
    *
    Er kletterte vorsichtig über das Menschenbein, Bein und Stein, bis er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Erleichterung.
    Melmoth verschwand im Schatten am Fuße des Geröllhaufens und horchte. Die Hunde hechelten, und der Metzger schnaufte.
    »Er ist in den alten Steinbruch«, sagte der Metzger. »Jetzt haben wir ihn.«
    »Hmmm hmmm«, sagte eine bekannte Stimme.
    Melmoth sah zu, wie zwei weiße Lichtwolken aus der Dunkelheit auftauchten, sah den heiß dampfenden Atem der Hunde und die massige tiefschwarze Gestalt des Metzgers. Melmoth zitterte, aber er zitterte nur vor Erschöpfung. In seinem Inneren war es erstaunlich ruhig. Er konnte alles hören, alles. Das Winseln der Hunde und ihren geifernden Herzschlag, das klirrende Geräusch des Mondlichts auf dem kalten Boden, den Flügelschlag eines Nachtvogels, sogar das samtige Schleifen der langsam verstreichenden Nacht. Es war seine fünfte Nacht – und seine letzte.
    Der Metzger hatte ein Licht

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