Glenraven
feststellen, daß die Wand vollkommen intakt war. Wenn Yemus Glück hatte, waren die Männer, die seine Illusion verfolgten, bis zu diesem Zeitpunkt so weit weg, daß sie nicht mehr zurückgerufen werden konnten. Yemus konzentrierte sich auf seinen Doppelgänger. Er war nichts weiter als ein einfacher Lichttrick, der seinen Verfolgern ohne Schwierigkeiten entkommen konnte. Allerdings warf er keinen Schatten, und das Pferd hinterließ keine Hufspuren. Aber solange das Wetter regnerisch und trüb war und die Illusion innerhalb der Sichtweite ihrer Verfolger blieb, hatten sie keinen Grund, auf dem Boden nach Spuren zu suchen. Yemus war zufrieden. Er konzentrierte sich auf den Ort, wo die Katastrophe geschehen würde, die er gesehen hatte, und führte sein Ebenbild auf dem schnellsten Weg dorthin.
KAPITEL DREIUNDFÜNFZIG
Jayjay war vollkommen durchnäßt, und ihre Zähne klapperten, während sie lief. Der Weg, dem sie zusammen mit Sophie und Matthiall folgte, führte über eine weitere Wiese und wieder in einen Wald. Obwohl es erst kurz nach Mittag war, wurde es dunkler und dunkler.
»Wir müssen uns beeilen. Sie kommt«, sagte Matthiall und blickte nach hinten.
Jay sah ihn fragend an. »Wer?«
»Aidris Akalan. Es bedeutet unseren Tod, wenn sie uns findet.«
»Wie kannst du dir so sicher sein, daß es Aidris Akalan ist und nicht einer der Kintari?«
»Die Kintari besitzen nicht genug Magie, um eine Nacht zu erzeugen. Das kann nur die Schutzherrin.«
» Sie ist für diese Dunkelheit verantwortlich?« Sophie starrte in den Himmel und zog ihren Poncho enger. Jay wünschte, sie könnte die Gedanken ihrer Freundin lesen.
Matthiall nickte. »Dadurch kann sie auch tagsüber die Jäger mitnehmen. Eine komplette Armee ist hinter uns her.«
»Sie ist nicht allein?«
»Nein. Wenn sie soviel Energie aufwendet, um eine künstliche Nacht zu schaffen, dann ist sie mit ihrer gesamten Streitmacht unterwegs.«
»Wie nah ist sie?« fragte Jay. Die Dunkelheit hatte sich inzwischen über ihre Köpfe erstreckt und dehnte sich immer weiter aus… und das sehr schnell.
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Matthiall. »Je mehr Fläche Aidris mit Dunkelheit überzieht, desto mehr Energie muß sie dafür aufwenden, und desto schneller ist sie erschöpft. Wenn sie also einigermaßen vernünftig ist, dann müssen wir davon ausgehen, daß sie nicht mehr sehr weit entfernt ist.«
»Wie weit müssen wir noch?«
»Ungefähr eine halbe Stunde - wenn wir uns beeilen.«
Jay nickte. Sie wünschte, sie hätten noch ihre Pferde.
Matthiall fiel in einen langsamen Trab. Jay hatte Mühe, mit Matthiall mitzuhalten und gleichzeitig den verschiedenen Hindernissen auszuweichen, die sie in der Finsternis nicht mehr sehen konnte.
Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Wer ist Callion?« fragte Jay.
»Ein alter Freund und Mitverschwörer. Jemand, der das gleiche will wie ich.« Matthiall seufzte erneut… oder vielleicht atmete er auch nur schwerer, nachdem er schneller rannte. »Aber ich glaube nicht, daß wir unser Ziel erreichen werden.«
Nach dieser Bemerkung fiel er in Schweigen, und Jay, die sich irgendwie für seine Traurigkeit verantwortlich fühlte, stellte keine weiteren Fragen.
Sie rannten, beschleunigten, wann immer es der Untergrund zuließ, und wurden langsamer, wenn sie keine andere Wahl hatten. Die Zeit verging langsam… aber sie verging.
Matthiall hielt am Rande eines schwarzen Waldes an und sagte zunächst gar nichts. Jay glaubte Stimmen zu hören, die sich von hinten näherten - entfernte Rufe, aber das Geräusch des Regens verunsicherte sie. Vielleicht bildete sie sich alles nur ein. Sie beobachtete Matthiall, der zwischen den Bäumen nach etwas Bestimmtem suchte. Jay nahm an, daß dieser Callion sein Versteck mit unauffälligen Zeichen markiert hatte - zum Beispiel abgeknickte Zweige oder Kerben in den Ästen. Was auch immer Matthiall suchte, er fand es schnell. Er deutete nach vorn und wandte sich zu den beiden Frauen. »Dort entlang«, sagte er und führte sie in den Wald. Der Regen wurde zu einem leichten Tröpfeln.
Sie gingen langsam weiter. Jayjay wäre am liebsten weitergerannt. Trotz des ständigen Lärms durch den Sturm war sie sicher, in der Ferne einen Schrei gehört zu haben. Aber weder Sophie noch Matthiall zeigten eine Reaktion. Meine Ohren haben mir schon wieder einen Streich gespielt, dachte Jay.
Matthiall führte die beiden Frauen durch das Unterholz. Jay konnte inzwischen ganz deutlich eine Stimme hören -
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