Glenraven
Dabei hat er sich dann meist bis zum Umfallen besoffen, und wenn er viel verloren hatte, kam er nach Hause und schlug mich.«
Sophie saß einfach nur da und ballte die Fäuste. »Und Steven ist schwul.«
»Ich hab’ anscheinend ein Talent, mir die falschen Männer auszusuchen.«
»Das kann man wohl sagen. Was hast du als nächstes vor?«
Jayjay begann zu lachen. Es klang selbst in ihren eigenen Ohren kalt und hohl. »Na ja, Steven erklärte mir, daß er und Lee - das ist der Name seines Liebhabers - gerne Kinder hätten. Sie wollten beide Eltern werden, aber Lee kann überhaupt nichts mit einer Frau anfangen. Steven ist da anders… obwohl es ihm nicht sonderlich viel Spaß macht. Sie wollten, daß ich die Babys zur Welt bringe. Natürlich sollte Lee bei uns einziehen… «
»Zu euch beiden?«
»Ja. Alles nur, damit Lee nichts von den Wundern der Mutterschaft verpassen würde.«
»Klar.« Sophie sah aus, als wollte sie auf der Stelle nach Peters zurückkehren, um Steven zum Lunch zu verspeisen. »Und was war dabei für dich drin? Ist er bi? Hat er gesagt, daß er auch dich liebt?«
»Nein. Er betrachtete mich als seine Freundin, und da wir beide Kinder wollten und ich kein Glück mit Männern hätte, entschied er, wir sollten verheiratet bleiben und das Kinderglück zu dritt teilen. Erst als er immer heftiger auf Kinder drängte, erklärte er, daß er schwul ist… obwohl er und Lee das Ganze schon geplant hatten, bevor Steven mir einen Heiratsantrag machte. Ich glaube sogar, daß es Lee war, der mich ausgesucht hat. Wahrscheinlich dachten die beiden, ich wäre nicht wählerisch. Natürlich habe ich mich Hals über Kopf in Steven verliebt… ich Idiot. Als alles rauskam, gestand er, daß er mich nicht liebt… aber er würde mich mögen .«
Sophie hob einen Tannenzapfen vom Boden und begann, ihn in seine Einzelteile zu zerlegen. »Er mochte dich. Das ist wirklich mal was Neues.«
»Nicht gerade die Romanze des Jahrhunderts.« Jayjay schüttelte reumütig den Kopf und lachte. Sophie knurrte: »Nein. Nicht ganz. Ich nehme nicht an, daß du in Betracht gezogen hast, die Brutmaschine für Steven und seine wahre Liebe abzugeben.«
»Äääh… Nein.« Jay wollte nicht zugeben, daß sie - wenn auch nur kurz - mit dem Gedanken gespielt hatte; daß sie sich in einem düsteren Moment so verzweifelt nach einer Familie gesehnt hatte - nach jemandem, den sie lieben konnte und der sie liebte -, daß sie selbst eine so sinnlose Beziehung für erstrebenswert gehalten hatte. Aber sie war jetzt nicht mehr die Person, die so gefühlt hatte; also war es auch sinnlos, noch darüber zu spekulieren.
»Was willst du jetzt machen?«
Jayjay grinste und hob die Arme. »Ich lebe. Es geht voran. Ich habe einen großartigen Reiseführer gefunden, eine Reise geplant und sie angetreten. Wenn ich zurückkomme, reiche ich die Scheidung ein, und nach einem Jahr ist alles vorbei.«
»Und beim nächsten Mann hast du hoffentlich mehr Glück.«
Jay atmete tief durch und starrte auf die Straße nach Glenraven. Ihr entschlossener Optimismus bekam rasch erste Risse. »Nein. Ich hab’ drei Versuche hinter mir. Ich bin aus dem Spiel.«
»Du willst ins Zölibat?«
Jayjay blickte ihre Freundin von der Seite an. Sie konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. »Na ja… ich bleib’ halt einfach Single.«
Sophie kicherte. »Also bist du doch nicht ganz aus dem Rennen. Du willst dich nur drücken.«
Jayjay lachte. Diesmal klang es schon fröhlicher. »Ganz und gar nicht. Ich beabsichtige, eine Rolle als interessierter Beobachter einzunehmen. Das ist alles.«
Wieder lachte Sophie leise vor sich hin. Sie sah auf ihre Uhr und machte ein besorgtes Gesicht. »Verdammt… weißt du eigentlich, wie spät es ist? Lestovru ist schon wesentlich länger als ein paar Minuten fort.«
Sie hatte recht. Sophie und Jayjay hatten so lange geredet, daß die Schatten der Bäume bereits über die Straße fielen und die Luft allmählich kälter geworden war.
Jayjay erhob sich und warf den Rucksack über ihre Schulter. »Er hat gesagt, er wäre in einer Minute wieder zurück. Auf geht’s. Ich habe keine Lust, hier herumzuhocken, während er stundenlang mit seiner Freundin telefoniert.«
Nebeneinander radelten sie die Straße hinab und um die nächste Biegung. Die Straße hätte nicht leerer sein können. Weder Lestovru noch sein Fahrrad oder die Telefonzelle, die Jayjay erwartet hatte, waren zu sehen. Die Straße schlängelte sich weiter.
»Und jetzt?«
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