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Glenraven

Glenraven

Titel: Glenraven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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entgegenkam? Ein Geniestreich der Mikroelektronik? Jay hätte eine solche Innovation sehr begrüßt, aber der Reiseführer bestand lediglich aus Papier und Tinte - ein aufgeklebter Hochglanzumschlag, Seiten aus hochwertigem Papier und schwarze Druckerfarbe, die nach typischer Taschenbuchfarbe roch. Nirgendwo hätte man einen Mikrochip unterbringen können, und selbst wenn es einen gab, wie konnte er die Tinte zu immer neuen Worten formen? Jay hatte keine moralischen Probleme mit technologischem Fortschritt. Wenn ein Umschlag ein wenig in ihren Händen summte, konnte sie das als Nebenwirkung der in dem Buch verborgenen Technologie akzeptieren. Aber so beruhigend eine derartige Erklärung auch sein mochte - ihr Verstand wollte sie nicht akzeptieren. Die natürliche Trägheit des menschlichen Gehirns zwang alles Unerklärliche in bereits vorhandene Erkenntnisschemata. Wenn man ein derart träges Gehirn mit der nahezu unmöglichen Tatsache eines Buches konfrontierte, das seinen Inhalt selbständig veränderte, dann tröstete es sich damit, daß die Tüftler im Silicon Valley wieder einmal Überstunden gemacht hatten.
    Julie Jean Bennington besaß zwar eine Menge persönlicher Fehler - wie sie sich selbst eingestehen mußte -, aber bestimmt kein träges Gehirn. Dieses Buch war kein Wunder moderner Hochtechnologie. Es hatte etwas vollbracht, von dem Jay wußte, daß es unmöglich war, und trotzdem… gerade weil etwas Unmögliches geschehen war, war es nicht unmöglich. Es war äußerst unwahrscheinlich; aber ›unwahrscheinlich‹ und ›unmöglich‹ waren zwei verschiedene Paar Schuhe.
    Jay streichelte über den Umschlag. Keine Technologie. Nichts, was sie kannte. Statt dessen roch es nach Voodoo-Trommeln, mitternächtlichen Ritualen, nach Aberglauben und Fantasy. Es war ein atemberaubendes Wunder.
    Magie .
    Instinktiv wehrte sich Jays Verstand gegen den Gedanken, aber sie schob den Reflex beiseite.
    Magie.
    Wie leicht es war, die Augen zu schließen und die ganze Reise an diesen Ort zu ignorieren, der eigentlich gar nicht existieren konnte . Jay konnte auch die Tatsache verdrängen, daß ein Buch mit ihr geredet hatte. Sie konnte sich weigern, die Unmöglichkeit eines Landes zu akzeptieren, das außerhalb der Zeit existierte - unberührt von der modernen Welt…
    Wenn man immer auf einer logischen Erklärung bestand, war man zur Blindheit verurteilt. Solange Jay denken konnte, war sie in dieser Blindheit gefangen gewesen… doch das war jetzt vorbei!
    »Manchmal«, flüsterte sie, »gibt es keine logische Erklärung.«
    Das Buch brummte und sang in ihren Händen. Es schnurrte wie eine Katze. Es hatte seinen Standpunkt deutlich gemacht und schien zufrieden zu sein.
    Im selben Augenblick verstummten die Glocken, und als das letzte Echo verflogen war, hörte Jay, wie sich jemand hinter ihr räusperte.
    Sie drehte sich um. Der Portier war zurückgekehrt und wartete. »Jetzt«, sagte er, »ist es Zeit zum Essen.«
     
     
    Die beiden Frauen wurden erneut durch das Labyrinth des Wethquerin Zearn geführt, bis sie schließlich den großen Speisesaal erreichten, den sie bereits auf dem Hinweg gesehen hatten. Allerdings war er jetzt voller Gäste, und ständig kamen weitere hinzu. Diener in der Livree des Wethquerin Zearn rannten mit Schüsseln und Tellern beladen hin und her. Sie schrien sich gegenseitig an, während die Männer und Frauen an den langen Tischen sich ihrem Essen widmeten, miteinander redeten und lachten. Auf dem freien Platz in der Mitte des Raumes führte eine Schaustellertruppe ihre Kunststücke vor, während einige Musikanten ein fröhliches Lied spielten. Mehrere Tänzer wirbelten in einem lebhaften Rundtanz durch den Saal. Die Gäste an den Tischen waren in bunte Kostüme gekleidet wie Jay und Sophie. Sie sahen wohlgenährt aus - ebenso wie die Dienerschaft. Im Gegensatz dazu wirkten die Schausteller schäbig und mager.
    Der Portier tippte zwei Männern an einem der unteren Tische auf die Schulter und flüsterte ihnen etwas ins Ohr. Die Männer lächelten und rückten ein Stück beiseite, um Jay und Sophie Platz zu machen… falls sie keinen Körperkontakt scheuten. Das Essen roch hervorragend, und Jayjay hätte noch weit mehr als nur die ungewohnte Enge ertragen, um etwas davon zu bekommen. Sophie, immer noch in Gedanken, setzte sich neben ihre Freundin und füllte ihre hölzerne Schüssel.
    Der Koch hatte sich redlich Mühe gegeben. Es gab Rehrücken, gefüllten Fasan, Backfisch und verschiedene Sorten

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