Glenraven
fürchterlich, dem heiteren Geplänkel zuhören zu müssen. Nicht nur, weil sie die Zielscheibe dieses Spottes war, sondern aus irgendeinem Grund, der ihr noch nicht ganz klar war.
Sie dachte angestrengt nach. Englisch… das war’s! Das Biest sprach Englisch , und der oder das andere auch. Die beiden hatten kein Wort Galti gesprochen.
Das lockende Licht, die fledermausartige Kreatur, das englischsprechende Monster auf ihrem Rücken. Jay empfand mit einem Mal große Sympathie für Dorothy auf ihrer Reise durch Oz.
»Ich weiß, daß sie für die Schutzherrin bestimmt sind«, sagte Grah. In seiner knurrenden Stimme schwang noch immer ein Hauch von Spott. »Aber es amüsiert mich, mit vorzustellen, daß es anders wäre.«
»Amüsier dich später. Laß sie aufstehen, damit wir uns auf den Weg machen können.«
Der Druck auf Jayjays Rücken verschwand. Sie lag noch immer reglos da und versuchte, einen Sinn in all den Geschehnissen der letzten Zeit zu erkennen.
»Steh auf!« Die Stimme, die vorhin noch so sanft und zivilisiert geklungen hatte, wurde auf einmal schroff. »Sofort. Es ist bald Tag.«
Jayjay richtete sich langsam auf. Alle Knochen taten ihr weh. Wenn sie am Leben blieb, könnte sie daheim mit einigen interessanten Narben angeben. Jay spuckte den Dreck aus und wartete. Sie hatte zwar keine Möglichkeit zu entkommen, aber wenigstens lebte sie noch.
»Folge mir«, sagte die zivilisierte Stimme.
Sie gehörte einem Mann. Er stand im Schatten der Bäume, so daß Jay sein Gesicht nicht erkennen konnte. Aber er war ein Mann… Arme und Beine an ganz normalen Stellen, ein Kopf, Hände und Füße. Allerdings jagte er ihr ebensoviel Angst ein wie der sprechende Hund. Jay gewann den Eindruck, daß er, ohne mit der Wimper zu zucken, zugeschaut hätte, wenn Grah sie verspeisen würde - vielleicht hätte er die Bestie sogar dazu ermutigt, wenn er nicht auf der Suche nach diesen beiden Magiern gewesen wäre. »Euch folgen?« fragte Jayjay. »Wohin? Wohin gehen wir?«
»Bewegung«, drängte Grah.
»Aber was ist hier gerade geschehen?«
Grah stieß ihr den Kopf in den Rücken, und Jay stolperte einen Schritt nach vorn. »Folge Bewul.«
Jay hielt den Mund und hinkte hinter dem Mann her. In den nächsten zwei bis drei Tagen werden die Schmerzen wohl nicht besser werden, dachte sie.
Bewul führte sie zu ihrem Lager zurück. Als erstes bemerkte Jayjay, daß das Zelt verschwunden war… im Gegensatz zu Sophie. Jay humpelte zu ihrer Freundin, und die beiden Frauen fielen sich freudestrahlend in die Arme.
»Du lebst noch«, sagte Sophie mit tränenerstickter Stimme.
»Zumindest im Augenblick. Weißt du, was hier los ist?« fragte Jayjay.
»So ziemlich. Einige unserer Retter halfen mir, unsere Sachen zusammenzupacken, während ich auf die anderen wartete, die dich gesucht haben, nachdem sie die Wächter verjagt hatten.«
»Unsere ›Retter‹ ?« Jayjay verstand gar nichts mehr.
Sophie blickte sich vorsichtig um, um sicherzugehen, daß niemand sie belauschte.
»Hör zu. Die Jungs hier waren auf der Jagd, als sie die Wächter bemerkten, die uns angriffen. Einige von ihnen und ihre Hunde jagten sie fort… die Pferde waren bereits tot, aber uns haben sie das Leben gerettet. Jedenfalls haben sie mir das so erzählt.«
»Was denkst du?«
»Ich denke, sie haben etwas gejagt, über das sie nicht sprechen wollen. Vielleicht uns… oder die Männer, die uns gestern in den Wald verfolgt haben.«
Jay nickte. »Ich hörte, wie einer sagte, sie hätten den Auftrag, uns zu ihrer… ihrer… «, sie grübelte einen Augenblick, »… ihrer ›Schutzherrin‹ bringen. Er scheint zwar nicht zu glauben, daß wir die Richtigen sind, aber sie haben definitiv nach jemandem gesucht.«
»Meinst du, sie lassen uns gehen, wenn sie herausfinden, daß wir die Falschen sind?«
Jay dachte an Grahs Pranke, die ihr Gesicht in den Dreck gedrückt hatte, und an seine Spekulationen über ihren Geschmack. »Nein«, antwortete sie.
»Ich auch nicht. Wenn wir eine Gelegenheit zur Flucht bekommen, dann sollten wir sie nutzen.«
Einer der Jäger näherte sich den Frauen. »Holt bitte eure Sachen. Wir müssen uns beeilen.« Seine Stimme war einfach hinreißend… tief und wohlklingend… sexy. Jay war einen Augenblick lang derart verwirrt, daß sie die Schwierigkeiten vergaß, in denen sie sich befand. Sie spürte auf einmal das Bedürfnis, dem Mann mit ihrer Taschenlampe ins Gesicht zu leuchten.
»Wohin bringt ihr uns?« Stimme hin, Stimme her,
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