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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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…«
    »Patriotisch?«
    »Gegen die Basis.«
    »Inzwischen ist da gar nicht mehr so viel los. Vielleicht machen sie ja demnächst alles dicht.«
    »Ich glaube, ihr habt euch da festgesetzt. Für tausend Jahre.
    Verstehst du? Bis in alle Ewigkeit, und du kannst dir nicht 186

    vorstellen, was für ein entsetzlicher Gedanke das für mich ist.«
    Sie brausten die Straße entlang, ein Lichtstrahl, der sich mit hundertzwanzig Stundenkilometern in die Dunkelheit bohrte.
    »Ich bin nicht das amerikanische Militär in Keflavík«, sagte Steve endlich.
    »Nein, das weiß ich. Vielleicht ging das alles etwas zu plötzlich. Vielleicht hätten wir uns mehr Zeit nehmen sollen, um uns besser kennen zu lernen.«
    »Wo kann man sich besser kennen lernen als auf der Flucht vor Mormonen.«
    Kristín lächelte.
    »Ich will dir sagen, wer ich bin, um das ein für alle Mal klarzustellen«, fuhr Steve fort. »Ich komme aus New York. Das stimmt aber nicht ganz, denn ich komme aus Albany im Staat New York, und wenn du die Bücher von William Kennedy gelesen hättest, würdest du wissen, wovon ich rede.«
    »Ironweed«, sagte Kristín.
    »Hast du den Film gesehen?«
    »Ja.«
    »Das Buch ist besser, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie man es anders hätte verfilmen können. In Albany sind die Leute irischer Abstammung, genau wie ich selbst. Viele Quinns.
    Gute Leute. Meine Urgroßmutter und mein Urgroßvater kamen um die Jahrhundertwende aus der irischen Armut ins gelobte Land, ließen sich bei Verwandten in Albany nieder und lebten in bitterer Armut, aber ihre Kinder hatten es besser. Mein Großvater gründete ein Geschäft, importierte Waren aus Irland und machte damit gutes Geld. Papa übernahm das Geschäft.
    Kein Riesenunternehmen, aber es lief gut. Die Iren aus Albany kämpften und fielen in den Kriegen, die Amerika in Europa führte, in Japan, Korea und Vietnam. Sie waren keine Soldaten, aber sie meldeten sich freiwillig, wenn sie der Meinung waren, 187

    dass Amerika auf sie angewiesen war. Ich habe Politikwissenschaften studiert, weil es mich interessierte, weshalb die USA in aller Welt Stützpunkte wie diesen hier in Island unterhalten. Was hat uns zu dieser mächtigen, globalen Militärpolizei gemacht? Ich habe eure Aversionen uns gegenüber hier in Island gesehen, aber auch den Tanz um das Goldene Kalb. Ich habe das Land und seine Leute eigentlich gar nicht richtig kennen gelernt, aber irgendjemand sagte mir, dass ihr auch von den Iren abstammt. Deswegen wirst du es vielleicht schon irgendwie überleben, wenn du mit mir in einem Auto sitzt.«
    »Hier haben vor tausend Jahren ein paar irische Einsiedlermönche gelebt.«
    »Aha.«
    »Aber ich glaube nicht, dass …«
    Sie schraken beide zusammen, als das Autotelefon auf einmal zu klingeln begann. Sie starrten es geraume Zeit an, und Steve wollte gerade abheben, als Kristín sagte:
    »Ach, lass es lieber. Das ist bestimmt mein Ex, dieser Paragrafenreiter, der sich wegen seines tollen Jeeps in die Hose macht.«

    Als sie bei Jón auf dem Hof vorfuhren, hatte ein so heftiger Schneesturm eingesetzt, dass man die Hand kaum vor Augen sehen konnte. Der alte Bauer stand an der Haustür. Ein kleine Lampe unter dem Vordach strahlte ihn von oben an. Durch das Schneetreiben sahen sie ihn gebückt und o-beinig in der Tür stehen, in Jeans und mit Filzpantoffeln an den Füßen. Nichts deutete darauf hin, dass von hier aus eine Spezialeinheit ihre komplette Ausrüstung auf den Gletscher geschafft hatte. Der Wind peitschte vom Gletscher herunter und hatte sämtliche Spuren zugeweht. Kristín und Steve rannten vom Auto zum Haus, und Jón schloss die Tür hinter ihnen. Sie gingen ins 188

    Wohnzimmer. Im dämmrigen Licht konnte Kristín alte Familienfotos, Bücherschränke und schwere Vorhänge ausmachen. Im Zimmer war es stickig heiß, und es roch nach Pferdestall. Jón brühte in der Küche Kaffee auf, während sie sich niederließen.
    »Ich habe von der Schießerei in Reykjavik gehört«, sagte Jón zu Kristín. Seine Stimme war heiser und zitterte ein wenig. Er hatte große, kräftige Hände, denen man die harte Arbeit ansah.
    Sein ausdrucksvolles Gesicht war im Alter weicher geworden.
    »Mein Bruder stirbt da oben auf dem Gletscher«, sagte Kristín betont langsam. »Er ist amerikanischen Soldaten in die Hände gefallen, die ihn in eine Gletscherspalte geworfen haben. Seine Kameraden von der Rettungsmannschaft haben ihn gefunden, aber sie glauben nicht, dass er es überleben wird. Er war

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