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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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sein.«
    Jón wühlte wieder in der Truhe. Kristín und Steve blickten sich um und sahen, dass die Pferde alles interessiert mitverfolgten.
    »Ich weiß nicht, ob man das eigentlich eine Tasche nennen kann«, sagte er. »Sie ist aus Metall. Hier ist das Ding.«
    Jón hob eine verbeulte und zerkratzte Metallbox hoch. Sie hatte die Größe einer kleinen Dokumentenmappe, mit Griff und 208

    Schloss, das augenscheinlich aufgebrochen worden war. Sie war an einigen Stellen bereits durchgerostet. Jón öffnete den Behälter.
    »Ich hab da drin ein paar Papierschnipsel gefunden, die sind alle ziemlich verrottet. Sonst nichts. Ich habe nichts herausgenommen.« Er reichte Kristín den Kasten. Sie betrachtete ihn eine Weile eingehend von außen und innen. Die Papiere waren Wind und Wetter ausgesetzt gewesen und völlig zerfleddert, trotzdem konnte man auf den größeren Fetzen noch vereinzelte Worte erkennen. Die Seiten waren maschinengeschrieben, aber die Schrift war ganz verblasst und fast unleserlich. Alles auf deutsch. An einer Stelle stand mit Großbuchstaben: OPERATION NAPOLEON.
    »Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?«, fragte Kristín Jón.
    »Ich kann damit nicht das Geringste anfangen«, erklärte er und sah Steve an. »Aber es muss etwas sehr Wichtiges gewesen sein, wenn er sich bei dem verrückten Wetter damit auf dem Gletscher abgeschleppt hat.«
    »Thompson hat doch gemeint, dass eine Bombe in der Maschine sei«, sagte Steve zu Kristín.
    »Was hast du da gesagt?«, fragte Jón.
    »Wir haben gehört, dass da eine Bombe von den Nazis in der Maschine sein soll, die die Amerikaner nach Amerika bringen wollten.«
    »Eine Bombe?«
    »Genau. Eine deutsche Wasserstoffbombe, die sie eigentlich auf London werfen wollten. Oder auf die Russen, wer weiß.«
    »Und kann diese Bombe hochgehen?«
    »Keine Ahnung«, sagte Kristín.
    Sie blickten einander an.
    »Hast du nicht gesagt, dass du ein Kreuz dort aufgestellt hast, wo der Deutsche begraben ist? Steht es immer noch?«
    209

    »Nein, jetzt nicht mehr. Ich habe mir keine besondere Mühe damit gegeben. Ich weiß gar nicht, warum ich das eigentlich gemacht habe. Ich hab einfach zwei Latten aufeinander genagelt. Bin schon lange nicht mehr da gewesen, aber das Kreuz ist schon vor langer Zeit umgekippt. Ich …«
    Jón verstummte.
    »Was?«, fragte Kristín.
    »Ich weiß nicht, ob ich das erzählen soll«, sagte Jón.
    »Was denn? Was willst du erzählen?«
    »Mir ist das ziemlich peinlich.«
    »Was?«
    »Ich habe das Kreuz gekennzeichnet.«
    »Gekennzeichnet?«
    »Einen Namen reingeritzt.«
    »Einen Namen? Wusstest du, wie der Deutsche hieß?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Aber …«
    »Das war nicht der Name eines Menschen.«
    »Nicht der Name eines Menschen, was denn dann?«
    »Ich hatte zu dieser Zeit einen altersschwachen Hund, den ich erschießen musste, den hab ich bei dem Deutschen vergraben.
    Ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist. Leichenschänderei war das, verdammt nochmal. Ich habe es hinterher immer bereut, aber mich damit getröstet, dass dieser Nazi wahrscheinlich nichts Besseres verdient gehabt hat. Das hatten wohl die wenigsten von ihnen.«
    »Du hast also in das Kreuz den Namen deines Hundes eingeritzt?«
    »Ivan.«
    »Ivan?«
    210

    »Er war immer schon ein schrecklicher Hund.«
    Kristín schaute Steve an, der die Achseln zuckte.
    »Darf ich vielleicht von hier aus telefonieren?«, fragte Kristín.
    Jón knurrte zustimmend. Sie gingen wieder hinaus in das Schneetreiben, Kristín trug die Metallbox mit sich und Steve die Uniformjacke. Sie folgten Jón zurück zum Haus und hörten nicht, dass das Autotelefon unablässig klingelte.
    211

    25
    Wir sind im Flugzeug eingeschlossen. Wir hören den Sturm nicht mehr. Nicht mehr ganz so kalt. Haben zwei Petroleumlampen. Weiß nicht, wie lange sie noch halten. Weiß nicht, wie lange wir schon hier sind. Weiß nicht mal, wo » hier «
    ist. Wahrscheinlich auf dem Vatnajökull. Manchmal gibt der Rumpf Geräusche von sich, als würde er auseinander brechen.
    Unsere einzige Hoffnung ist von Manteuffel, aber die ist gering.
    Er hat die Metallbox mitgenommen, die an sein Handgelenk gekettet war. Als ob er nicht selber den Schlüssel dazu gehabt hätte. Wer sonst? Da muss etwas so Wichtiges drin sein, dass er nicht wagt, sie hier zurückzulassen. Sitze im Cockpit. Halte mich von den Deutschen fern, drei von denen sind noch am Leben.
    Unterhalten sich in ihrem Kauderwelsch und werfen mir Blicke zu. Geben mir die

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