Glitzerbarbie
kommt noch besser. Von rechts. In Form von einer rothaarigen Hexe, die ich bislang noch gar nicht richtig bemerkt habe. Noch ein Lockvogel. »Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt«, zirpt sie. »Ich bin Rebecca und komme natürlich auch mit.« Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass diese Rebecca Körbchengröße 120 C, D, E, F oder X hat. Keinesfalls aber A oder B. Die rote Zora ist ein Vollblutweib mit langen Fingernägeln, die sie im sexuellen Akt hundertprozentig in den Rücken ihres Bettpartners krallt, während sie schreit: »O Gott, jaaaa! Oh, ich
komme! Ich sterbe!« Rebecca mag beim Sex kein Vorspiel, sondern möchte sofort mit den ganzen versauten Schweinereien anfangen. Sie weiß auch nicht, was der Unterschied zwischen einem vaginalen und klitoralen Orgasmus ist, weil sie im ganzen Körper einen Orgasmus hat. Und den zehnfach. Ich möchte Rebecca mitsamt Daphne in einem Erdloch verscharren. Allein die Vorstellung, mit diesen beiden Weibern nachher wegen meiner Brustvergrößerung zu einem Arzt gehen zu müssen, macht mich fix und fertig. Ich überlege verzweifelt, wie ich das verhindern kann, aber mir fällt nichts Passendes ein. Ich kann ja schließlich schlecht sagen, dass sie mir zu gut aussehen.
Mein Handy klingelt. Es ist Roland. »Ich habe unsere Traumwohnung gefunden«, schreit er enthusiastisch. »In Hamburg-Eppendorf! Sechs Zimmer. 200 Quadratmeter. Zwei Bäder. Altbau, was sonst. Und das alles zu einem Spottpreis. Du wirst dich wundern, Caro. Das ist nichts im Vergleich zu Watzelborn, und Berlin kann sich davon sowieso eine Scheibe abschneiden. Ich liebe sie. Und du wirst sie auch lieben!«
Und wer liebt mich? Ich bin momentan nicht in der Lage, irgendetwas rational zu sehen. Ich sehe nur mich, und das etwas verzerrt. Ich möchte einfach allein sein, aber das interessiert niemanden außer mir. Was ist bloß los mit mir? Seit kurzem habe ich das Gefühl, neben mir zu stehen, nicht mehr zu wissen, was ich eigentlich tue, und überhaupt immer das Falsche zu tun.
Dummerweise habe ich keine Zeit, darüber nachzudenken, weil alle, wirklich alle, mich total verrückt machen. Um mal ganz ehrlich zu sein: Ich habe überhaupt keine Lust darauf, eine wöchentliche Talkshow zu moderieren, noch dazu live. Und schon gar nicht mal am Samstagabend. Ich will nicht verantwortlich dafür sein, dass Familien ihren Rhythmus danach einrichten, dass ich um 20 Uhr 15 nach der Tagesschau im Anschluss
an die Eurovisions-Hymne mit meinen überdimensionalen Titten über irgendwelche Kabel stolpere und danach sage: »Hahaha!«, obwohl ich eigentlich meinen Namen sagen will, ihn aber leider vergessen habe, wegen der Aufregung. Ich möchte auch nicht mit diesen komischen Menschen dasitzen, die ihre Partner überführen wollen, weil sie der Annahme sind, sie hätten sie betrogen und jetzt kommt nochmal die Probe aufs Exempel.
Was soll ich zum Beispiel tun, wenn Roderick, 52 Jahre alt, Bahnbeamter auf Lebenszeit, seit 31 Jahren verheiratet mit Luise, 48 Jahre alt, auf den Trichter kommt, die Treue seiner Frau testen zu wollen? Es könnte sich herausstellen, dass Luise nur einen Orgasmus bekommt, wenn sie gefaltete Geschirrhandtücher beim Beischlaf in der Hand hält. Was soll unser Lockvogel dann tun? Oder Marie, 34 , seit zwei Jahren mit Melchior liiert: Sie hat ein Verhältnis mit ihrer Nachbarin Frieda, obwohl man das den beiden überhaupt nicht zutraut. Die beiden haben einen solch intensiven Bi-Sex, dass jeder Mann neidisch werden könnte! Ich sehe mich schon schweißgebadet im Studio mit dem halbbetrogenen (weil von einer Frau betrogen) Ehemann sitzen und sterben. Vor Mitgefühl. Um es kurz zu machen: Ich habe schreckliche Angst.
Ich gehe in mich. Wo möchte ich am liebsten sein? Als Kind habe ich mir oft die tollsten Orte ausgesucht in meiner Phantasie. Beispielsweise fand ich Helgoland immer toll. Lustig, da kommt Roland ja auch her. Ich dachte immer, auf dem Lummenfelsen könnte einem nichts passieren. Trottellummen sind Vögel. Die sind da, wo die Lange Anna ist. Die wohnen auf der Langen Anna, also auf oder in den Felsenspalten. Die Lange Anna, das ist ein Felsen von Helgoland, der sich abgesondert hat und jetzt allein im Meer steht. Die Lange Anna ist trutzig und
erinnert einen an eine Mutter, die einen immer beschützt. Okay, sie bröckelt ab mit der Zeit. Aber Mamas werden ja auch alt.
Jedenfalls ist auf dem Lummenfelsen kein Kind allein. Das Geschrei ist zwar groß, aber letztendlich
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