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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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Schein eines hoch über dem Gesims des Gebäudes angebrachten Strahlers zu erkennen: fast wie ein Flutlicht wirkte es auf Maybury. Er nahm an, daß der neue Weg für die Fahrzeuge der verschiedenen Zulieferer angelegt worden war, als man das Anwesen in ein, nun, in was auch immer: in ein privates Hotel? in eine Pension? in einen Club? verwandelt hatte. Zweifellos versuchte das Management dieses Etablissement, auch die höchsten Ansprüche zu befriedigen - kein schlechtes Konzept, wenn man bedachte, daß ja heutzutage selbst besser gestellte Familien kaum mehr geeignetes Dienstpersonal fanden.
    Maybury schloß das Auto ab und drückte mit der Hand gegen die Tür des Hauses. Es war eine solide viktorianische Eingangstür, und sie gab Mayburys Druck nicht im geringsten nach. Maybury war leicht entmutigt durch die Notwendigkeit, läuten zu müssen, betätigte aber trotzdem die Klingel. Er bemerkte eine zweite Klingel unter der oberen, eine, an der das Schildchen ›Nacht‹ zu lesen stand. Aber war es denn schon Nacht geworden? Das wichtigste war nun jedoch, erst einmal hereinzukommen, zu essen (die Firma hatte nur abgepackte Sandwiches und dünnstes Kaffeegebräu zu Mittag gereicht), sich ein wenig umzuschauen. Dann wollte er die Frage nach Benzin und Übernachtungsmöglichkeit sowie danach, wo man sich überhaupt befinde, klären, sodann ein Telefonat mit Angela führen und Desinfektionsmittel für sein Bein organisieren. Trotzdem genoß er es nicht gerade, allein unter grellstem Flutlicht an diesem merkwürdigen Ort zu stehen und nicht zu wissen, was ihn erwartete.
    Doch schon nach kurzer Zeit wurde ihm die Tür von einem Jungen mit gelocktem Blondhaar und unbeschwertem Gesichtsausdruck geöffnet. Er sah wie ein junger Athlet aus, ging es Maybury sofort durch den Kopf. Er trug ein weißes Jackett und lächelte aufmunternd.
    »Abendessen? Aber natürlich, Sir. Wir haben zwar gerade aufgetragen, aber ich bin sicher, daß wir noch etwas für Sie arrangieren können.«
    Die Worte riefen Maybury jene Pensionen in Seebädern in Erinnerung, in welche man ihn gesteckt hatte, als er noch ein Junge gewesen war. Pünktlichkeit war in jenen Tagen von fast ebenso großer Wichtigkeit wie die unverzichtbare englische Tugend des Maßhaltens.
    »Wenn Sie mir nur zwei Minuten geben, mir die Hände zu waschen ...«
    »Selbstverständlich, Sir. Hier entlang, bitte.«
    Im Inneren sah es indes ganz und gar nicht wie in jenen Seebadpensionen aus Mayburys Jugend aus. Maybury wußte zufällig genau, wie es dort aussah. Das Bild spiegelte die innenarchitektonischen Bemühungen eines teuren und somit sehr konservativen Möbelhauses wider, dem man seine komplette Wohnung und ein Großteil seines Scheckbuchs anvertraut hätte. Textiltapeten bedeckten alle Wände, und jedes Sofa und jeder Sessel waren dick gepolstert. Farbgebung und Stoffarten waren, wenn auch aufeinander abgestimmt, so doch sehr mannigfaltig. Die zahlreichen Stehlampen trugen ausladende Schirme, die hochglanzpolierten Marmortische waren italienischen Originalen nachempfunden. Man hätte allenfalls den Eindruck gewinnen können, daß einige wenige der Sitzmöbel bei sorgfältigerer Auswahl und neuer Polsterung besser mit dem Rest harmonisiert hätten. Es schien, als befände sich niemand in dem Raum außer Maybury und dem ›jungen Athleten‹.
    Der Bursche hielt Maybury die Tür mit der Aufschrift ›Herren‹ auf, ging jedoch dann mit hinein, was Maybury nicht unbedingt erwartet hätte. Der Bursche unterließ es aber, umständlich Aufhebens um Handtuch und Seife und etwaige letzte Staubfussel zu machen, wie man es manchmal in sehr teuren Hotels erlebt (und wie es früher in Clubs gang und gäbe gewesen war). Nichts dergleichen - er stand einfach dort. Zweifellos, so erklärte es sich Maybury, war der ›junge Athlet‹ bemüht, in Hinblick auf das ohnehin schon begonnene Abendessen nicht noch zusätzliche Verzögerungen aufkommen zu lassen.
    Beim Betreten des Speisesaals schlug Maybury unvermittelt eine Hitzewelle entgegen. Die Zentralheizung mußte auf Hochtouren laufen. Der Raum war mit Textiltapeten ausgekleidet, die jenen, die Maybury in der Eingangshalle gesehen hatte, ähnelten, nur waren sie offensichtlich noch dicker, noch schwerer. Wahrscheinlich sollten sie unter anderem den Geräuschpegel dämpfen. Die Decke des Saals war, wie es in letzter Zeit in Mode kam, heruntergehängt, als wolle man Kleinwüchsigen einen Gefallen tun. Opulente Vorhänge verdeckten jedes

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