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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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die jenem auf dem Treppenabsatz glichen. Sie waren zwar größer als der draußen, gleichwohl blieb der Altgoldglanz des Salons entschieden düster, und die karmesinroten Flecken auf den Gläsern warfen verzerrte rötliche Schatten auf die goldschimmernde Wandbespannung. Auch die Einrichtung war in Jugendstil gehalten. Alles, selbst gewöhnliche Gebrauchsgegenstände, schien an den unerwartetsten Stellen aufzutauchen und zu verschwinden, ekstatisch emporzuschnellen, melancholisch dahinzufließen oder einfach vorzukragen und abzubrechen. Man spürte, daß jeder Gegenstand gleichsam unter Spannung stand. Die Farben des Raums verschmolzen zu einer überraschend individuellen Harmonie. Beinahe sofort bei meinem Eintritt fühlte ich, daß die Farbgebung des Salons etwas mit der in meinen eigenen Bildwerken gemeinsam hatte. Es war höchst seltsam. An den goldenen Wänden hingen zahlreiche Bilder, meist in goldenen Rahmen: vornehmlich, wie es ja zu erwarten stand, die Werke des verstorbenen A., auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, aber auch einige esoterische Zeichnungen, offensichtlich von Felicien Rops; als ich mich inmitten letzterer niederließ, fuhr mir durch den Kopf, daß sie noch seltsamer waren als das Seltsamste, was ich von diesem Maler kannte. In dem wuchtigen Jugendstilkamin prasselte ein Feuer, das, wie so oft auf dem Kontinent, den Raum entschieden zu stark erwärmte. Nichtsdestoweniger schloß ich die Tür wieder. Dabei entdeckte ich hinter dem Türflügel die lebensgroße Marmorstatue einer Frau, die gerade entband. Ich erkannte sie sofort als das Werk eines symbolistischen Bildhauers, der für derartige Sujets berühmt war, doch auch ihn will ich lieber nicht mit Namen nennen, lag doch über seiner Plastik etwas, das ›nicht stimmte‹ selbst in meinen unerfahrenen Augen, der ich über den Vorgang der Geburt nur durch Kunstwerke - nicht zuletzt Kunstwerke dieses Mannes - informiert bin.
    »Mais oui«, sagte Madame A., während ich meinen Blick nicht von der Skulptur zu lösen vermochte. » C’est la naissance d’un succube.«
    Doch an dieser Stelle beende ich wohl besser den Versuch, mir Madame A.s französische Aussprüche ins Gedächtnis zu rufen. Zum einen wird mir das nie gelingen, obwohl ihre ersten Worte, jene, die ich niedergeschrieben habe, noch klar und deutlich in meiner Erinnerung haften. Zum anderen ließ Madame A. bald erkennen, daß sie perfekt Englisch sprach - oder zumindest, dachte ich sonderbar berührt, so gut, wie sie Französisch sprach. Irgend etwas an ihr ließ denn auch selbst einen in Fremdsprachen so ungebildeten Menschen wie mich erkennen, daß sie ebensowenig aus Frankreich beziehungsweise aus Belgien stammen konnte wie aus England. Ich versuche, die Ereignisse und meine Gefühle möglichst genau so darzustellen, wie sie waren, und will daher nicht behaupten, daß ich nicht von Beginn an etwas Eigentümliches an Madame A.s Person bemerkte - dessen, wenn nichts sonst in der ganzen Geschichte, bin ich mir sicher.
    Und nun stand sie also in ihrer ungeschlachten Art vor dem großen, hellen Feuer, die nackten Arme ausgestreckt, als wolle sie mich in ihre Umarmung ziehen.
    Und trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit, trotz der prasselnden Flammen waren ihre Arme bloß - nicht nur ihre Arme. Ihre behaarten Beine waren ebenfalls unverhüllt, und ihr Kleid von stumpfem Rot war für eine Frau ihres Alters erstaunlich tief ausgeschnitten und entblößte ihren erschlafften Busen nur allzusehr. Ich gewann den absurden Eindruck, daß dieser rote Fetzen tatsächlich das einzige Kleidungsstück war, das sie trug - abgesehen von den goldenen Pantöffelchen an ihren kleinen, plumpen Füßen.
    Und doch war sie zweifellos alt; sehr alt sogar, wie sie mir geschrieben hatte. Tiefe Falten und Runzeln durchzogen ihr Gesicht. Ihr Nacken ließ jegliche Anmut vermissen. Die Last der Jahre hatte ihre Gestalt gebeugt und verkrümmt. Ihre Stimme, so befehlsgewohnt sie auch klang, war greisenhaft. Mir schien, daß ihr schwarzes, schütteres, aber struppiges und abstehendes Haar nur gefärbt sein konnte. Ihr Kopf glich einem alten braunen Ei.
    Sie ließ mich direkt vor dem Feuer Platz nehmen und schwitzen, ja sie drängte mich immer näher an die prasselnden Flammen heran, nötigte mir Cognac und Wasser auf. Sie hingegen blieb stehen, und aufgrund ihrer geringen Größe befanden sich ihre runzeligen braunen Backenknochen und ihre merkwürdig ausdruckslosen schwarzen Augen fast auf einer Höhe mit

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