Glockengeläut
meinem Gesicht. Der Sessel, den sie mir angeboten hatte, wies in Kopfhöhe Polsterohren auf, wodurch mir noch heißer wurde, und hin und wieder beugte sie sich beim Sprechen vor und legte, um das Gesagte zu untermalen oder Vertrautheit auszudrücken, eine Hand auf diese Polsterohren und sprach direkt in mein Gesicht, wobei sie mir nahe genug kam, daß sie mich hätte küssen können. Sie schien nur sehr wenig zu trinken, mich jedoch nötigte sie zu weit mehr, als ich eigentlich wollte, wobei sie unablässig die Qualität des Weinbrands sowie - wie wenig wußte sie doch von mir, dachte ich - die Kraft und Vitalität meiner Jugend pries. Ihre erste Frage, nachdem ich mich niedergelassen hatte, war: Wie alt, hätte ich doch gleich gesagt, sei ich? Und, fuhr sie fort, wohl im Zeichen des Skorpions geboren? Ja, erwiderte ich, beeindruckt, aber nicht sonderlich erstaunt, denn diese Gabe habe ich schon bei vielen Leuten kennengelernt, auch wenn die Materialisten derartiges nicht für möglich halten. Und was schließen Sie daraus? wollte ich von ihr wissen, denn die Anhänger der Astrologie neigen zu unterschiedlichen Auslegungen. Zurückgezogenheit und Sinnlichkeit, krächzte sie zur Antwort. Nur ersteres, räumte ich lächelnd ein. Dann müsse ich meine Bemühungen darauf richten, das zweite zu wecken, stellte sie fest, was mich nicht wenig entsetzte.
Und doch, dachte ich bei mir, wie starr ich bin, wie wenig teilnahmsvoll; und wie schwach zugleich.
Sie begann bald, über Kunst und über die Maler zu reden, die sie vor langer, langer Zeit einmal gekannt hatte. Vielleicht erwartete sie, daß dieses Thema mich zum Leben erwecken mochte. Sie neigte dazu, den Faden ihrer langen, weit zurückliegenden Geschichten zu verlieren, und während sie ihn dann wiederzufinden versuchte, füllte oder besser überfüllte sie mein Glas.
Es war offensichtlich, daß sie wohl keinen der Männer, über die sie sprach, bewundert oder auch nur gemocht hatte, Männer, von denen viele Gegenstand meines besonderen Interesses waren und noch sind. Zumindest hoffe ich, daß sie es noch sind, denn das Objekt der Bewunderung verliert durch feindselige Kritik, so ungerecht diese auch sein mag, an Glanz und Anziehungskraft, und nichts vermag der Bewunderer zu tun, die Wunde, welche die Kritik geschlagen hat, zu heilen, auch wenn sein Verstand ihm sagt, daß der Kritiker nicht im geringsten recht hat. Madame A.s Kommentare allerdings entbehrten jeglicher vernünftigen Argumentation und waren daher um so provozierender. Höhnische Bemerkungen, Andeutungen und grobe Beleidigungen waren alles, was sie vorbrachte.
»X.«, so sagte sie etwa, »war ein absurder Mann, immer sehr lebendig und mit einer Stimme wie eine Ziege.« »Y.!« rief sie aus. »Ich hatte eine sehr intime Beziehung mit Y. - so lange ich ihn ertragen konnte.« »Z.s Bilder galten als philosophisch, aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Sie sind noch nicht einmal überzeugend pornographisch.« Dabei implizierte sie die ganze Zeit, daß meine leidenschaftlichen Einwände lediglich von grotesker Unreife zeugten; manchmal vermochte ich mit Erfolg gegen sie zu argumentieren, da sie nicht gerade logisch dachte und auch mit den Tatsachen sehr großzügig umging. Sie ging darüber hinweg mit ihren persönlichen Reminiszenzen an die komischen oder anrüchigen Umstände, unter denen verschiedene Bilder entstanden waren, oder mit Anekdoten, die, wie sie es sah, den Maler in seinen wahren Farben zeigten.
»J.«, behauptete sie, »war jahrelang ganz verrückt nach mir, aber ich hätte ihn noch nicht einmal als Taschentuch benutzt, wenn ich die Grippe gehabt hätte - und jeder anderen Frau ging es genauso mit ihm.« Madame A. war nun in ihrem Element, doch da ich wußte (auch wenn das zwischen uns nicht zur Sprache kam), daß J., der ganz ausgezeichnete orientalisierende Phantasiebilder geschaffen hatte, sich verarmt und verzweifelt erhängt hatte, deprimierte und verwirrte mich das von ihr angeschlagene Thema in besonderem Maße. Ich spürte, daß ihr hartes Urteil in allzuviel Fällen zutraf, wenn auch, wie ich mir sicher war, nicht immer -, obwohl es zweifellos auch noch eine andere Wahrheit gab. Ich fühlte, daß sehr viele der wenigen, die sich überhaupt für derartige Kunst interessierten, diesen Kommentaren beipflichten und ihnen so Glaubwürdigkeit durch einen Mehrheitsbeschluß verleihen würden - wodurch meine diesbezüglichen Urteile auf seltsame Weise entwertet zu werden schienen. Zudem
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