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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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hereinbrach und die zahlreichen Glocken läuteten und dröhnten und mich zu meinem fragwürdigen Rendezvous trieben.
    Die Faszination der Einsamkeit, mit der nicht zuletzt das Musée Wiertz lockte, hatte mich in der Tat zu viel Zeit gekostet. Ich bemerkte, daß ich die Entfernung von der Rue Wiertz zu der Straße, die mich zum Boulevard de Waterloo, wo Madame A. wohnte, führen sollte, unterschätzt hatte. Wundervolle Straßen sind das, durch die ich damals eilte, Straßen, die ihre Schönheit beinahe verschämt zur Schau stellten; harmonisch, wohlproportioniert, erfüllt von warmer Lebendigkeit, vom Atem der Geschichte. Ich kenne keinen anderen Teil von Brüssel, den ich so sehr mochte. Mir gefielen die großen Fenster, die, ganz anders als in England, so viel von der Fassade einnahmen. Mir kam sogar der Gedanke, daß dies genau das richtige Wohnviertel für mich sei. Eigentlich zweifelt man ja nie ernsthaft daran, daß man, ob nun gut oder schlecht, auch in der Erinnerung genau das wieder fühlen wird, was man in einem bestimmten Moment einmal gefühlt hat; oder daß man, wenn es ein guter Moment war, zumindest immer so fühlen könnte, ließen sich äußerer Rahmen und Begleitumstände konservieren. Es beruhigte mich zutiefst, durch diese unaufdringlich schönen Straßen zu wandern. Auch bin ich meist unmittelbar vor der Bewährungsprobe nicht mehr im geringsten ängstlich.
    Madame A. wohnte in einem dieser Häuser - nur zwei Stockwerke hoch, weiß und elegant, mit Rokokoschnörkeln an den Oberlichtern über der schmucken Eingangstür, einer für dieses Haus überaus passenden Eingangstür übrigens, breit genug für Reifröcke und hoch genug für einen Admiral, mehr als ein bloßer Schlitz im Gebäude für kleine Leute auf dem Weg zur Arbeit. Die Häuser zur Linken und Rechten wiederholten mit leichten Abweichungen dieses Muster. Ich bin glücklicherweise noch rechtzeitig zur Welt gekommen, um derartige Häuser vor ihrer Zerstörung und Renovierung sehen zu können; so weit stand alles zu meiner Zufriedenheit.
    Hinter einem der oberen Fenster sah ich Licht. Es hatte die Farbe, die gemeinhin als ›Altgold‹ bezeichnet wird.
    Ich bediente die Türglocke und hörte es drinnen läuten. Ich erwartete eine Art Bediensteten oder einen Verwandten, da Madame A., so stellte ich es mir vor, ans Bett gefesselt war. Doch die Tür öffnete sich, und es war nur zu offensichtlich, daß es sich um Madame A. selbst handelte. Sie sah sehr klein und gedrungen aus, beinahe gnomenhaft; indes konnte ich nur ihre Umrisse ausmachen, da es draußen beinahe vollständig dunkel geworden, die Straßenbeleuchtung (Gott sei Dank) nur schwach und auch im Vestibül nicht der geringste Lichtschimmer vorhanden war.
    »Entrez«, stieß Madame A. in ihrem unverwechselbaren Krächzen hervor. »Entrez, Monsieur. Fermez la porte, s’il vous plaît.« Trotz ihres Krächzens klang die Stimme doch so, als sei sie, wenn sie sich überhaupt vernehmen ließ, gewohnt zu befehlen. Und nichts anderes schien sie zu interessieren - ich spürte es sofort -, wenn sie mit jemandem sprach.
    Von der Eingangshalle führte eine gerade, nicht mit Teppichen bedeckte Treppe nach oben, die viel breiter als in englischen Häusern vergleichbarer Größe war und ein schweres hölzernes Geländer besaß, das man im Lichtschimmer des oberen Flurs eben erkennen konnte.
    »Suivez, Monsieur.«
    Madame A. kraxelte die Treppe hinauf - man darf das wörtlich nehmen. Sie war zwar überaus agil, aber auf seltsame Weise plump und ungeschlacht in ihren Bewegungen. In dem Dämmerlicht arbeitete sie sich also - beinahe wie ein alter Waldschrat - die Stufen hinauf; ich glaube jedoch, daß das Alter nicht selten diese Wirkung auf die Fortbewegungsart eines Menschen zeitigt, außer vielleicht auf die überdurchschnittlich groß Gewachsenen. Madame A.s Größe indes lag eher unter als über einem Meter fünfzig.
    Beim Hochsteigen bemerkte ich, daß die Lampe auf dem Treppenabsatz an einer dicken goldenen Kette hing und in einem Jugendstilleuchter aus angelaufenem alten Goldglas glomm, das in unregelmäßigen Abständen von karmesinroten Flecken durchsetzt war. Ich folgte Madame A. in einen Raum, der die ganze Tiefe des Hauses einnahm und an der Frontseite des Gebäudes sowie genau gegenüber auf seiner Rückseite je ein Fenster aufwies. Die Tür zu dem Raum war bereits offen. Dort in dem breiten Portal vor mir stehend, wirkte Madame A. vierschrötiger denn je.
    Den Raum erhellten Leuchter,

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