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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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genau so, wie sie damals aussah, wie sie damals sprach.
    »Ein sehr gepflegter Pudel«, wiederholte ich, nachdrücklich auf Englisch beharrend.
    Sie wandte sich mir zu und starrte mich an, kam mir jedoch nicht näher, wie sie es bisher in ähnlichen Situationen getan hatte. »Sie haben also einen Pudel gesehen?«
    »Ja«, erwiderte ich, wobei ich immer noch nicht glaubte, daß hier etwas wirklich nicht in Ordnung sein könne, »gerade eben. Wenn er nicht Ihnen gehört, muß er von draußen aus der Dunkelheit gekommen sein.« Die Dunkelheit beschäftigte mich wegen der Bilder noch immer, doch in eben dem Moment, als ich die Worte ausgesprochen hatte, überkam mich trotz des prasselnden Feuers ein Frösteln. Ich wollte mich erheben und nach dem Hund suchen - schließlich mußte er sich noch in dem Raum befinden -, doch gleichzeitig hatte ich große Angst davor. Ich hatte Angst, mich überhaupt zu bewegen.
    »Hier tauchen oft Tiere auf«, ließ sich Madame A. mit heiserer Stimme vernehmen. »Hunde, Katzen, Kröten, Affen. Manchmal auch weniger gängige Arten. Ich nehme an, daß er mittlerweile nicht mehr da ist.«
    Ich habe sie wohl nur noch angestarrt.
    »Mein Mann hat sie hin und wieder gemalt.« Dies war die einzige Bemerkung, welche sie über ihren Mann machte, eine für mich nur schwer verständliche überdies. Sie zerrte wieder auf diese zwanghafte Weise an ihrem Ausschnitt.
    »Ich werde«, fuhr Madame A. fort, »Ihnen von Chrysothème, meiner Adoptivtochter, erzählen. Wußten Sie schon, daß Chrysothème das schönste Mädchen von ganz Europa ist? Sie ähnelt mir nicht! Oh nein, ganz und gar nicht!«
    »Wie schade, daß ich nicht das Vergnügen habe, sie kennenzulernen!« sagte ich, abermals bemüht, interessiert zu wirken, obwohl ich, vor allem nach den jüngsten Geschehnissen, nur noch an Flucht dachte. Kaum waren meine Worte verklungen, bedauerte ich - zum zweiten Mal -, daß ich so etwas gesagt hatte.
    Madame A. hingegen krächzte nur verträumt vor sich hin, starrte immer noch geradeaus. »Sie taucht hier auf. Sie bleibt recht oft zu Gast. Und dann immer ziemlich lange. Mehr kann man auch nicht erwarten. Schließlich bin ich nicht ihre richtige Mutter.«
    Ich nickte, obwohl die Worte, denen ich damit meine Zustimmung gab, rätselhaft schienen.
    »Chrysothème!« rief Madame A. aus, während sie ungestüm ihre Hände zusammenschlug. »Meine Chrysothème!« Sie hielt inne, und Licht fiel auf ihr Gesicht, nicht jedoch in ihre Augen. Dann wandte sie sich mir erneut zu. »Wenn Sie sie nackt sehen könnten, Monsieur, würden Sie alles verstehen.«
    Ich kicherte unbehaglich vor mich hin, wie man das in solch peinlichen Momenten zu tun pflegt.
    »Ich wiederhole, Monsieur, daß Sie dann alles verstehen würden.«
    Es dämmerte mir, daß sie weitaus mehr damit sagte, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mochte.
    Nur wollte ich ganz entschieden nicht alles verstehen. So ähnlich hatte ich mich schon einmal, als ich noch ein Schuljunge gewesen war, einer Wahrsagerin gegenüber ausgedrückt, einer trotz ihrer ausgeprägten Nase schönen Frau in einem Jahrmarktzelt.
    »Würden Sie gern ihre Kleider sehen?« fragte Madame A. ganz sanft. »Sie hat einige Kleider hier gelassen, die sie tragen kann, wenn sie bei mir zu Gast ist.«
    »Ja«, sagte ich, »sicher.«
    Ich kann nicht vollständig erklären, warum ich es sagte, aber ich sagte es. Auch wäre mir angesichts Madame A.s befehlsgewohnter Persönlichkeit ohnehin keine andere Wahl geblieben. Möglich, daß es das war. Doch in jenem Augenblick war es nicht der springende Punkt. Ich traf die Wahl, ohne zu zweifeln.
    Madame A. umfaßte sanft mein Handgelenk und zog mich aus meinem Sessel empor. Ich öffnete ihr eine große Tür und dann eine weitere, die sie mir wies. Es gab zwei davon auf der Seite gegenüber dem Treppenabsatz, und sie deutete auf die rechte.
    »Ich selbst schlafe im nächsten Zimmer«, teilte Madame A. mir auf der Türschwelle im Ton einer Einladung mit. »Wenn ich überhaupt schlafen kann.«
    Der Raum selbst war fast bis zur Decke mit dunklem Holz getäfelt. Die Ecke links von der Tür nahm ein ebenfalls holzvertäfeltes Bett mit einer Decke aus dunkelrotem Brokat ein. Es schien größer als ein Einzel-, jedoch nicht so groß wie ein Doppelbett zu sein. Von seinem Fußende setzte sich die glatte dunkle Vertäfelung der Wand ohne weitere Verzierungen bis zum Ende des Raums fort. In der Mitte der gegenüberliegenden Wand befand sich ein mit rotem

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