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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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der Konzentration ganz verkrampft waren. Ich konnte kaum wieder aufstehen, um mein Jackett wieder an mich zu nehmen. Als ich die Ärmel meines Hemds herunterrollte, wurde ich gewahr, daß die Härchen an meinen Unterarmen senkrecht emporstanden; sie wirkten stachelig und scharf.
    »Blauer Junge!« rief Madame A. aus und wartete auf meine Reaktion.
    Ich handelte. Ich schloß den Deckel der Truhe.
    »Die andere Truhe enthält Souvenirs«, erklärte Madame A., während sie nervös am Ausschnitt ihres Kleides zerrte.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich zitterte noch immer am ganzen Körper und konnte zudem jenen bezaubernden Duft nicht mehr wahrnehmen. Wenn man friert, scheint der Geruchssinn zu schwinden.
    Und in diesem Augenblick begriff ich zum ersten Mal die wahre Natur des einen Bilds, das über dem breiten Bett in der Raumecke hing. Trotz des schlechten Lichts kam es mir bekannt vor. Ich ging hinüber und beugte mich, ein Knie aufs Bett setzend, vor. Nun war ich mir sicher. Das Bild stammte von mir.
    Zwei außerordentlich seltsame Dinge fielen mir auf. Obwohl ich mir beinahe hundertprozentig sicher war, daß das Bild nur von mir stammen konnte (mein Talent mag zwar begrenzt sein, doch ist es unverwechselbar), konnte ich mich doch nicht daran erinnern, es jemals gemalt zu haben, und es gab Dinge in diesem Bild, die niemals von mir hätten stammen können. Manchmal vergessen Künstler in ihren späten Jahren die Werke ihrer Jugend, doch ich war sicher - und bin es noch -, daß mir so etwas nicht passieren könnte. Meine Bilder lassen es nicht zu, daß ihr Maler sie vergessen könnte. Viel schwerer wog indes die Tatsache, daß die zentrale Figur, die ich wohl als Engel dargestellt hatte, eher wie ein Clown erschien. Es ließ sich schwer sagen, warum, aber, dieses Bild betrachtend, drängte sich mir dieses Wissen auf.
    Mein heftiges Zittern wandelte sich in Übelkeit, wie es ja oft vorkommt. Mir war, als müßte ich mich auf den Boden übergeben und so noch den letzten Rest von Würde verlieren.
    »Ganz recht«, kommentierte Madame A., als sie das Bild mit ihren ausdruckslosen Augen betrachtete; sie redete, wie sie in dem anderen Raum mit mir geredet hatte. »Absolut kein Maler. Wäre besser Toilettenwart oder Fleischträger auf dem Pferdemarkt geworden, finden Sie nicht auch? Es hängt hier, weil Chrysothème keine Zeit für Bilder hat, nein wirklich, überhaupt keine Zeit.«
    Es wäre absurd und unwürdig gewesen, mit ihr zu streiten. Auch konnte ich nicht mit Sicherheit ausmachen, ob sie sich darüber im klaren war, mit wem sie gerade redete.
    »Danke, Madame«, sagte ich, »daß Sie mich empfangen haben. Ich kann Sie unmöglich länger aufhalten.«
    »Ein Andenken«, krächzte sie. »Sie müssen mir zumindest ein Andenken dalassen.«
    Ich bemerkte, daß sie eine recht große, silbrig schimmernde Schere in die Höhe hielt.
    Indes verspürte ich nicht die geringste Neigung, auch nur eine Locke meines Haupthaars in Madame A.s Verwahrung zu lassen.
    Ich öffnete die Tür des Schlafzimmers und begann mit dem Rückzug. Ich suchte verzweifelt nach ein, zwei Sätzen, die meinem überstürzten Aufbruch einen Hauch von Konvention hätten verleihen können, dann aber sah ich, daß auf dem einzelnen goldenen Leuchter, der an seiner goldenen Kette von der goldenen Decke herunterhing, ein Tier, ein kleines, flaumbedecktes Tier hockte, so klein, daß es fast ein dunkles, behaartes Insekt mit ungewöhnlich deutlichen bleichen Augen hätte sein können. Zudem stand die Tür des großen überhitzten Raums zu meiner Linken natürlich immer noch offen. Da kam es über mich. Ich rannte, stürzte die schlüpfrige, blanke Treppe herunter, wobei ich Glück hatte, nicht kopfüber zu fallen.
    »Mais, Monsieur!«
    In der Dunkelheit kämpfte ich einen verzweifelten Kampf mit den unzähligen Griffen, Ketten und Riegeln der Eingangstür. Es schien mir durchaus möglich, daß ich sie nicht aufbekommen würde.
    »Mais, Monsieur!« Madame A. schleppte sich auf der Treppe hinter mir her. Doch plötzlich stand die Tür offen. Nun, da ich mir meines Entkommens sicher sein durfte, wurde wieder eine kleine Konzession an das gute Benehmen möglich.
    »Gute Nacht, Madame«, sagte ich auf Englisch. »Und haben Sie nochmals vielen Dank.«
    Sie fuchtelte mit der klackernden, großen, silbrig schimmernden Schere in meine Richtung. Das Metall der Schere blitzte im Licht der Straßenlaterne draußen förmlich auf. Madame A. wirkte wie ein ungeschlachtes

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