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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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wurde Lehrer an einer Schule, bevor er als Ausbilder zur Armee zurückkehrte. Schließlich heiratete er, nach den üblichen Maßstäben recht spät. Zudem ehelichte er eine ältere Frau, die ihn gleichwohl sehr glücklich zu machen oder, besser gesagt, zu lassen schien, denn er wirkte immer wie ein von Natur aus glücklicher Mensch. Ich besuchte sie mehrmals, und zweifellos lebte Valentine wesentlich komfortabler als je zuvor während unserer Bekanntschaft. Darüber hinaus war er zum Lieutenant-Colonel befördert worden. Ich vermute, er nahm dann einen Posten bei der Landwehr an. Sogar als er schließlich starb, hatte er Glück: Es war ein Angelunfall, und dem Vernehmen nach ging es so schnell, daß er nichts davon merkte.
    Als ich mich in meiner Dachgeschoßwohnung am Brandenburg Square niederließ, gab es noch zwei weitere Mietparteien unter mir.
    Im zweiten Stock war das Redaktionsbüro einer politischen Wochenzeitung mit dem schönen Titel Freedom untergebracht. Obwohl das Blatt in meiner Muttersprache erschien, bestand doch die Belegschaft augenscheinlich nur aus Ausländern, von denen einige offensichtlich sogar Probleme beim täglichen Austausch von Höflichkeiten bezüglich des Wetters oder der Treppenhausreinigung hatten, wenn ich ihnen einmal zufällig auf dem Korridor begegnete. Während der ungefähr sechs Monate, die wir das Gebäude gemeinsam bewohnten, traf ich erstaunlich viele von ihnen. Ich wunderte mich, wie die Zeitung sie alle halten konnte, vor allem, da es sich nicht gerade um ein Massenblatt mit schwindelnd hoher Auflage zu handeln schien. Bisweilen nahm ich mir ein Exemplar aus den Müllsäcken, die über Nacht auf der Straße standen.
    Im Kellergeschoß des Gebäudes lebten ein junger Mann und eine junge Frau von gemäßigt intellektuellem Anstrich. Zu jener Zeit aber arbeitete der Mann in der örtlichen Filiale einer bekannten Lebensmittelkette, und die Frau hatte eine Halbtagsstelle bei einem Buchmacher. Die Notwendigkeit dieser Art des Broterwerbs ergab sich aus der Tatsache, daß die beiden vier Kinder und daher wenig Geld hatten.
    Auch das jüngste der vier Kinder hatte schon das schulpflichtige Alter erreicht, und immer wenn die junge Frau aus dem Büro des Buchmachers zurückgekehrt war und bevor sie das Haus erneut verlassen mußte, um die Kinder von der Schule abzuholen, kam sie zu mir ins Dachgeschoß hoch, um einen Kaffee zu trinken und ein Schwätzchen zu halten.
    Anfangs war ich gar nicht sehr erfreut über ihre Besuche. Ich hatte Skrupel, weil sie verheiratet war und zudem noch unter demselben Dach lebte. Darüber hinaus erfolgten ihre Stippvisiten schon bald immer häufiger, beinahe täglich, obwohl sie sich nie für den nächsten Tag festlegen wollte, was ich auf unerklärliche Weise als bedrohlich empfand. Auch glaubte ich mir einen wenn auch schwachen Widerstand schuldig zu sein, wenn ich beim Schreiben (oder Lektorieren) gestört wurde. Es erübrigt sich wohl zu sagen, daß mein Widerstand weder heroisch noch von langer Dauer war. Es war wohl eher die anfängliche Vorsicht eines jungen Mannes, der ›anständig‹ erzogen worden war. Schon bald jedoch freute ich mich so sehr auf die Besuche dieser Frau, daß meine morgendliche Arbeit erheblich darunter litt und ihre Weigerung, sich für den nächsten Tag zu verabreden, mich nun aus ganz anderen Gründen zu stören begann. »Ich kann es wirklich nicht sagen«, meinte sie dann. »Wir sollten einfach die Gegenwart genießen.« Wodurch sie es mir allerdings nur um so schwerer machte. Ihr Name war Maureen. Ihr Mann hieß Gilbert. Einmal lud sie mich ein, nach dem Abendessen zu ihnen herunterzukommen, doch versprach dieser Besuch von vornherein kein großer Erfolg zu werden. Ihr Mann saß einfach da, erschöpft nach seinem anstrengenden Tag im Lebensmittelgeschäft, und las den New Statesman ; zwei oder drei der Kinder waren bereits alt genug, um aufbleiben zu dürfen, ständig Fragen zu stellen und lästig zu werden. Wir haben das Experiment nicht wiederholt, wenn ich mich recht erinnere.
    Erdgeschoß und erster Stock des Hauses waren ursprünglich nicht vermietet, doch dieser Zustand würde nun, da das Land sich wieder erholte, mit Sicherheit nicht von Dauer sein. Alle Türen, die auf den Flur und die Treppe gingen, wurden verschlossen gehalten, und Maureen beschwerte sich regelmäßig darüber, daß das Haus deshalb so deprimierend wirke. Ich hielt dagegen, die leerstehenden Geschosse sorgten immerhin dafür, daß wir unsere

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