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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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Kindermädchen, das einen kleinen Jungen mit einer lustigen Geste gespielter Aggression verabschiedet. »Mach’, daß du wegkommst«, mag sie gesagt haben, oder auch: »Komm’ sofort zurück!« Ich aber wartete nicht auf weitere Abschiedsworte. Bald fand ich mich, wie ich die dichtbevölkerte Chaussée d’Ixelles herunterging, immer noch im Innersten zitternd und dann und wann einen Blick über die Schulter zurückwerfend.
    Nachdem vierundzwanzig Stunden vergangen waren, wurde mir sehr wohl klar, daß es keinen Hund gegeben haben konnte, auch kein kleines Tier, das auf dem Flurleuchter hockte, kein Bild über dem Bett und vermutlich auch keine Adoptivtochter. Das verstand sich beinahe von selbst. Das Schlimme daran ist, daß diese offenkundige Wahrheit die Dinge nur noch unerträglicher macht. Hier beginnt erst das wahre Problem. Was wird aus mir werden? Was wird mir als nächstes widerfahren? Was kann ich tun? Was bin ich?

Begegnungen mit Mr. Millar

    Bevor es zu spät ist, will ich die Geschehnisse so genau niederschreiben, wie es mein Gedächtnis erlaubt.
    Es scheint, als sei meine Erinnerung an diese Vorgänge ungetrübt, überdies waren sie dergestalt, daß man sie nicht so leicht vergißt; gleichwohl werden vermutlich Gedächtnislücken in meiner Erzählung stärker zu Buche schlagen als Übertreibungen. Es wird also mein Grundsatz sein, abzuschwächen, herunterzuspielen, zu unterschlagen. Schließlich bin ich, ebenso wie jeder andere Zeitgenosse, ein Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts.
    Natürlich untergrabe ich meine Glaubwürdigkeit, wenn ich mich gleich zu Beginn als Schriftsteller zu erkennen gebe. »Na ja, er ist halt Schriftsteller!« Ich erinnere mich noch genau an diesen Ausspruch meiner Großmutter, wenn ich sie über eine besonders unwahrscheinliche Geschichte löcherte, die Maurice Hewlett gerade während ihrer nachmittäglichen Teerunde zum besten gegeben hatte. Dennoch behaupte ich, daß ich diese wahre Geschichte bis zum heutigen Zeitpunkt nur deshalb noch nicht niedergeschrieben habe, weil ich hin und wieder ein bißchen Geld mit meinem Füllfederhalter verdienen konnte.
    Buchstäblich mit meinem Füllfederhalter. Um genau zu sein, mit eben diesem Füllfederhalter, den ich nun in der Hand halte. Ihn benutzte ich auch schon, als ich ein oder zwei Jahre nach dem Krieg (dem richtigen, dem Ersten Weltkrieg) Quartier im Obergeschoß eines Hauses am Brandenburg Square genommen hatte. Damals hatte man noch Füllfederhalter, die mindestens ein ganzes Leben lang hielten.
    Ich habe die Adresse leicht verändert, denn heutzutage läuft man schnell Gefahr, sich eine Verleumdungsklage einzuhandeln, wenn man behauptet, ein bestimmtes Gebäude sei ein Spukhaus. Ich glaube allerdings, daß meine Erzählung eher von einem einzelnen Mann handelt, der verfolgt wurde, als von einem Spukhaus, aber dennoch möchte ich nach so vielen, gleichwohl meist erfolgreich geführten Prozessen jedes noch so kleine Risiko in dieser Hinsicht vermeiden.
    Ich bewohnte eine Flucht von drei kleinen, verstaubten und nur unzureichend möblierten Zimmern im dritten Stock. Heiß im Sommer, kalt im Winter, waren sie ursprünglich für Dienstboten eingerichtet. In einem der Räume hatte man kurz zuvor eine Kochstelle sowie eine Spüle eingebaut, und in einem ehemaligen Wandschrank (oder der einstigen Besenkammer) war eine ebenso billige Naßzelle, bestehend aus einer Badewanne und einer Toilette, installiert worden; zu beiden sanitären Einrichtungen drang die Wasserzirkulation allerdings nur in unregelmäßigen Abständen empor.
    Mein Vater war gefallen. Meine Mutter verfügte außer der daraus resultierenden Witwenpension über keinerlei nennenswerte Einkünfte. Ich war das einzige Kind und mir der Anfechtbarkeit meiner egozentrischen Lebensweise sehr wohl bewußt: Ich ergriff keinen Beruf, lebte zu Hause und überließ anderen die Sorge um die Finanzen. Meine Mutter jedoch äußerte nie auch nur die geringste Kritik, und ich hoffte, daß ich mit der Zeit wenigstens genug verdienen würde, um meine Miete zahlen und mich selbst ernähren zu können. Das zeugt von erstaunlicher Zuversicht, aber schließlich sollte sie sich doch als gerechtfertigt erweisen. Ich geriet nicht ein einziges Mal mit meinen Zahlungsverpflichtungen in Rückstand, und ich war nie gezwungen, wie so viele Dichter, eine Woche, einen Monat oder gar ein ganzes Jahr von nichts als Brot und Margarine zu leben. Ausschlaggebend dafür war, daß ich mich nie mit Poesie

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