Glockengeläut
abgegeben habe. Ich bezog ein regelmäßiges, wenngleich geringes Einkommen, da ich pornographische Manuskripte anderer Leute lektorierte und in verkäufliche Bücher verwandelte. Da Pornographie heutzutage nicht mehr derart verpönt ist wie damals, darf ich erwähnen, daß mir diese Aufträge von einem Mann namens Major Valentine verschafft wurden. Er ist ohnehin bereits tot; ich habe allerdings fast bis zum Ende den Kontakt zu ihm aufrechterhalten, teilweise aus Dankbarkeit für seine Unterstützung, die es mir während einer kritischen Zeit ermöglichte, meinen eigenen Weg zu gehen.
Major Valentine war Kriegskamerad meines Vaters gewesen. Ich begegnete ihm zum ersten Mal, als er später meiner Mutter einen Besuch abstattete. Er erschien eines Tages in seinem zerknitterten Trenchcoat bei uns und bemerkte im Laufe der Unterhaltung, daß der Krieg auch die Ansichten vieler Leute über ihre bevorzugte Lektüre verändert habe und daß er seine Abfindungssumme darauf verwenden werde, sich als Verleger zu etablieren. Obwohl ich damals erst achtzehn Jahre alt war, wußte ich doch nur zu genau, daß sich ein unüberwindlicher finanzieller Graben auftat zwischen einer Majorsabfindung und dem endlos hohen Turm imaginärer Goldstücke, den selbst ein überaus zurückhaltender Jungverleger würde aufbringen müssen. Ich war auf diesem Gebiet nicht gänzlich unbewandert, da ich schon damals fest entschlossen war zu schreiben und mich jeden Abend mit dem Writer’s and Artist’s Year Book zu Bett begab, bis mir alles, was man daraus lernen konnte, in Fleisch und Blut übergegangen war. Aber selbstverständlich sagte ich nichts, denn in jenen Tagen wagten es halbwüchsige Jungen noch nicht, erwachsenen Männern zu widersprechen - erst recht nicht, wenn es sich dabei um Kriegshelden handelte. Meine Wohlerzogenheit wurde denn auch belohnt, indem er mir hin und wieder als ›Lektor‹ Manuskripte anvertraute, zweifellos ein Zugeständnis an die Freundschaft zu meinem Vater und die prekäre finanzielle Lage meiner Mutter. Der ursprünglich aus Amerika stammende Begriff Lektor hatte sich in der kontinentalen Buchbranche noch nicht durchgesetzt, und allein dadurch ließ der ehemalige Kamerad meines Vaters durchblicken, daß er Prinzipien des modernen Verlegertums nutzbringend anzuwenden beabsichtigte. Vor dem Krieg hatte er sich als freiberuflicher Journalist durchgeschlagen. Er selbst beschrieb mir seine Tätigkeit so, vermutlich weil er, was in dieser Branche beileibe nicht an der Tagesordnung war, damit einigen Erfolg gehabt hatte.
Ich hatte in Anbetracht eines unruhigen und ständig unter Geldknappheit leidenden Familienlebens eine preiswerte und keinen bestimmten Prinzipien verpflichtete Schulbildung genossen. Glücklicherweise bedeutet Schulbildung für die Entwicklung der meisten Künstler nicht viel (und nach meinen Erfahrungen überhaupt für die meisten Menschen weniger, als man gemeinhin annimmt). Obwohl ich also ›schreiben‹ wollte, hatte ich nur ungenaue Vorstellungen davon, wie ich damit meinen Lebensunterhalt bestreiten sollte. Aber aus meinem Inneren stiegen bei dem Gedanken an eine andere Verdienstmöglichkeit stets seelische Qualen empor. Valentine hatte deutlich gemacht, daß er noch nicht in der Lage sei, mir ausreichend Aufträge anzubieten, damit ich mich selbst ernähren könnte, doch klammerte ich mich freudig und erleichtert an die Tatsache, daß er meinen Hungerlohn immerhin regelmäßig zu zahlen versprach, erklärte mein Vorhaben am gleichen Abend meiner Mutter (Major Valentine hatte nicht zum Abendessen bleiben können, was mir ganz recht war), und noch in demselben Monat hatte ich mich am Brandenburg Square eingerichtet.
Valentine war nie in der Lage, mir wesentlich mehr als am Anfang unserer Zusammenarbeit zu zahlen, doch ich kam mit Anstand über die Runden und schrieb immer überzeugendere Briefe, so daß mit der Zeit auch andere Aufträge eintrafen, Aufträge der verschiedensten Sparten, was mir zugute kommen sollte, als ich meinen ersten eigenen Roman zu schreiben begann.
Ich kann ebensogut an dieser Stelle über Major Valentines weiteren Lebenslauf berichten: Pornographie ist niemals - ich glaube jedenfalls, daß dieses endgültige ›niemals‹ in diesem Falle gerechtfertigt ist - so lukrativ, wie man anzunehmen geneigt ist (ich spreche hier von der Pornographie, die sich auf den ersten Blick als solche zu erkennen gibt), und nach drei oder vier Jahren wechselte Valentine den Beruf und
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