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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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es noch verblüffender, als sie erwartet hätte.
    Sie ging nicht auf ihn zu, wich sogar noch einen Schritt zurück.
    »Ich habe eine neue Frisur.«
    »Das kann man wohl sagen.« Er starrte sie beinahe an. »Warum?«
    »Ich wollte etwas Neues ausprobieren.«
    Seine Miene hellte sich ein wenig auf.
    »Ganz wie du willst, Liebling.«
    Peggy fragte, ob sie die Suppe servieren solle. Amüsanterweise schien Peggy die Veränderung nicht im mindesten bemerkt zu haben.
    »Gib mir noch ein paar Minuten, damit ich mich umziehen kann«, sagte Curtis wie üblich. Wenn er allein mit Nesta zu Abend aß, trug er immer einen seiner älteren Anzüge.
    Nesta drehte ihm den Rücken zu und betrachtete sich, nun bei vollem Licht, in dem teuren, aber nicht sonderlich geschmackvollen Wandspiegel, dem Hochzeitsgeschenk ihres Schwiegervaters.

    Neun Tage später (Nesta führte mittlerweile ein Tagebuch) machte ihr Curtis während des Abendessens völlig unvermittelt eine Szene. Sie hatten bereits eine Zeitlang schweigend gegessen, als Curtis noch vor Beendigung des Fischgangs Messer und Gabel auf den Tisch warf und brüllte: »Was zum Teufel ist mit dir los, Nesta?«
    Eine der Verwandlungen, die in Nesta vorgingen, manifestierte sich in ihren augenscheinlich stärker werdenden Nerven, so daß sie jetzt nicht mehr vor dem Unerwarteten zitterte, wozu sie früher tendiert hatte. Nun sah sie Curtis geradewegs in die Augen. »Nichts ist mit mir los, soweit ich das beurteilen kann.« Ihr Gesichtsausdruck änderte sich, als sie hinzufügte: »Tut mir leid, daß das Essen nicht besser ist, aber wie du ja weißt, hat Peggy heute ihren freien Abend.«
    »Du kochst tausendmal besser als Peggy.«
    Ungeachtet seines Einwands war sowieso kaum anzunehmen, daß lieblos gekochter Fisch für Curtis’ bemerkenswerten Wutausbruch verantwortlich war. »Ich hab’ mich wohl nicht genau genug an das Rezept gehalten.«
    »Warum hast du deine Hände so verunstaltet?«
    In der Tat hatte sie heute zum ersten Mal grellbunten Nagellack aufgetragen.
    »Gefällt es dir?« Sie streckte ihm ihre Hände über den Tisch hinweg entgegen. Es ließ sich nicht leugnen, daß sie so nicht mehr den Händen einer guten Köchin glichen.
    »Es ekelt mich an.«
    Nesta zog ihre Hände langsam wieder zurück und legte sie in den Schoß.
    »Es ist abscheulich. Und außerdem vulgär. Mach’ das nie wieder!«
    Nichtsdestoweniger schien seine Wut nun, da ihr Grund offenbart war, abzuebben - und das um so schneller, in Anbetracht ihrer Heftigkeit.
    »Schließlich sind es meine Hände.«
    Curtis war erstaunt, wie ruhig sie geblieben war.
    »Tu’s nicht wieder, sei ein braves Mädchen, ja?«
    »Ich finde es schön.«
    »Oh nein, Liebling, es ist nicht schön. Es ist fürchterlich.«
    Nesta erinnerte sich an einen Satz aus einem jener zynischen Bücher: Je mehr eine Frau sich um ihr Aussehen bemüht, um so weniger kümmere sich ein Mann um das Resultat und um sie selbst, obwohl Männer sich in erster Linie für die äußere Erscheinung einer Frau interessieren.

    Curtis hatte stillschweigend angenommen, Nesta werde ihrer verrückten Laune nicht weiter nachhängen. Als sich dies als falsch erwies, wurde das Ganze für ihn zu einer Art Zwangsvorstellung. Bei Tisch und im Bett schienen Nestas lackierte Hände ihn abzuwehren, ihn zurückzustoßen. Ganz gewiß hätte er sich nie träumen lassen, daß rote Fingernägel einmal ein Problem für ihn sein würden.
    Curtis’ Abscheu gegenüber Nesta äußerte sich in kleinen Nachlässigkeiten, denn nach jenem ersten Ausbruch erwähnte er diese Angelegenheit nur noch selten. Er war beschämt und verständnislos, mußte aber insgeheim Nesta beipflichten, daß ihre Hände ihr gehörten. Auch spürte er, daß er, indem er sich in eine so unbedeutende Sache verrannte, an Autorität verlor. Bestürzt erkannte er, daß seine Feindseligkeit Nesta gegenüber wie eine Schlange in ihn hineinschlich und sich um ihn herumwand.
    Nesta schien, völlig unsensibel für seine Bedürfnisse und Emotionen, die Maniküre zum Hauptzweck ihres Lebens erhoben zu haben. Jeden Abend hantierte sie mit einer Batterie von zierlichen, unendlich scharfen und unangenehm chirurgisch anmutenden Instrumenten oder feilte ohne Unterlaß ihre Nägel. Das nicht zu überhörende, trockene Schmirgelgeräusch, das Nesta dabei verursachte, hatte auf seine Nerven in emotionaler Hinsicht denselben Effekt wie das Geräusch eines Bohrers beim Zahnarzt in physischer. Einmal rang er sich zu dem

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