Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
Vom Netzwerk:
schien weder glücklich noch unglücklich zu sein, dafür aber eine obskure Genugtuung daraus zu ziehen, die ganze Zeit allein herumzusitzen und Peggy durch die Gegend zu scheuchen, auf daß jede Abweichung von der perfekten Ordnung im Haushalt beseitigt werde, extravagante Kleider zu tragen und Tag und Nacht das Maniküre-Set und den Inhalt ihres mit grünem Taft bezogenen Schminkkoffers zum Einsatz zu bringen. Aus diesem stieg, wenn er geöffnet wurde, der feine Dunst farblosen Gesichtspuders, an dem man zu ersticken drohte, sowie ein Gemisch kopfschmerzträchtiger Parfumdüfte.
    Eine besonders alarmierende Entwicklung trat ein, als Nesta begann, Hüte mit Schleiern zu tragen. Jetzt fragte sich Curtis ernsthaft, was er mit ihr machen sollte. Er spielte mit dem Gedanken, einen Arzt zu Rate zu ziehen, doch dem hätte er nichts sagen können, was nicht völlig albern geklungen hätte. Abgesehen von ihrer Gleichgültigkeit verhielt sich Nesta ihm gegenüber vollkommen vernünftig, und den Haushalt führte sie effizienter als je zuvor. Ihr Körper gehörte natürlich ihr, und so konnte sie ihn auch verschönern, wie es ihr gefiel. Sie legte sich zahlreiche neue Hüte, darunter viele Abendhüte nach französischer Mode, sowie ebenso viele Gesichtsschleier zu, die sich in Farbe, Transparenz und Muster unterschieden; und es dauerte nicht lange, bis Curtis sie nie mehr ohne Schleier zu sehen bekam. Zu diesem Zeitpunkt nämlich begann sie, ihre Nächte ausnahmslos in ihrem eigenen Schlafzimmer zu verbringen. Aus Gründen, über die sie beide sich nie Rechenschaft abgelegt hatten, schliefen sie von Beginn ihrer Ehe an in getrennten Zimmern, doch besaßen die Räume eine Verbindungstür, die bis zum jetzigen Zeitpunkt nie verschlossen gewesen war. Nesta begegnete Curtis’ Fragen mit der einfachen Feststellung, daß sie ›im Augenblick‹ allein zu schlafen wünsche, wurde er drängender, reagierte sie mit stummer Abwehr.
    Die Hüte entsprachen dem, was Curtis für die neueste Mode hielt, auch wenn er sich nicht in Kreisen bewegte, in denen die letzten Haute Couture-Modelle getragen wurden; die Schleier waren immer elegant und sogar kokett drapiert. Manchmal war das Netzwerk der Schleier so großmaschig, daß es Curtis schien, als erkenne er ihr Gesicht beinahe so gut wie ohne Schleier. Doch im Lauf der Zeit verschwammen, ja verzerrten sich Nestas wirkliche Gesichtszüge in seiner Vorstellung. Die einzige Ausnahme bildete ihr Mund, den sie, um zu essen, entblößte, indem sie anmutig den Schleier bis zu ihrer Oberlippe lüftete. Für Curtis in seiner Abgeschiedenheit wurde Nestas Mund auf unerwartete und quälende Weise zum Objekt der Begierde. Das Abbild ihres Mundes verfolgte ihn in seinen Gedanken, nahm einen um so sinnlicheren Charakter an, je mehr er darüber grübelte. Schon bald begehrte er ihren Mund mehr, als er sie jemals begehrt hatte. Er sah jedoch ein, daß es entwürdigend sei, sie zu küssen, während sie ihn mit derartiger Geringschätzung behandelte. Darüber hinaus bezweifelte er, ob sie sich einen Kuß überhaupt gefallen lassen würde. So vermied er es, einen Konflikt heraufzubeschwören, der das unwiderrufliche Ende ihrer Verbindung hätte bedeuten können.
    Eines Tages schien sie, während er fort gewesen war, die komplette Einrichtung ihres Apartments verändert, zahlreiche neue Gegenstände aufgestellt, die Standorte fast aller alten verändert und zweifellos auch einiges weggeworfen zu haben.
    Im Wohnzimmer hatte Nesta einen breiten, von der Decke bis zum Boden reichenden Wandspiegel installiert, ein prunkvolles und schweres Stück, dessen Rahmen eine Orgie ineinander verschlungener Faune und Mänaden zeigte. Er hätte aus einem venezianischen Palazzo stammen können, dessen Interieur in jüngerer Zeit umgestaltet worden war. Auch hatte Nesta die Beleuchtung des Raums verändert, so daß sich bei Nacht alles Licht in dem neuen Spiegel traf; der nunmehr fast der einzige Gegenstand war, welcher sich in dem Raum befand. Das Apartment indes war alles andere als klein, und Curtis, hin- und hergerissen zwischen Protest und Verwirrung, spürte, daß es Nesta gelungen war, etwas Gewöhnliches in etwas Abenteuerliches und Dramatisches zu verwandeln. Unglücklicherweise jedoch hatte Curtis weder des Abenteuers noch der Dramatik wegen geheiratet.
    Nun aßen sie also im Schein von Kerzen in barock gewundenen Silberkandelabern zu Abend. Eines Nachts trug Nesta ein nebelhaftes Kleid: vollkommen weiß, wenn auch

Weitere Kostenlose Bücher