Glockengeläut
Vorschlag durch, sie möge doch ihre Nägel anstatt abends tagsüber feilen, wenn er außer Haus wäre; später jedoch ging ihm auf, daß sie sie auch den ganzen Tag über schon gepflegt hatte. Das war, von seiner eigenen Abneigung gegen lackierte Fingernägel abgesehen, eine beunruhigende Entdeckung. Es erfüllte ihn mit Widerwillen, als sei Nesta einer krankhaften Obsession verfallen.
So wie unhörbare Töne, wie man sagt, süßer als hörbare sein können, so kann auch uneingestandene Feindseligkeit bitterer als offen erklärter Krieg sein. Zu dem Tick mit ihren Händen gesellten sich bald extravagante und verschwenderische Kleiderkäufe. Zuvor schien sie mit genau der Menge und Art von Garderobe zufrieden gewesen zu sein, die alle anderen verheirateten Frauen mit vergleichbarem Alter, Einkommen und sozialem Status zu schätzen wissen. Nun jedoch hatte eine rücksichtslose Kaufwut sich ihrer bemächtigt, und was Curtis - sollte das überhaupt möglich sein - noch tiefer verstörte, sie kleidete sich immer seltsamer. Soweit er das beurteilen konnte, war ihre exzentrische Tracht noch nicht einmal mit den Diktaten der Mode zu rechtfertigen.
Dann kam ein Abend, an dem er sie zu einer Bridge-Party begleiten wollte. Die Einladung bestand schon lange, der Termin war seit Wochen festgelegt.
»Liebling, es tut mir schrecklich leid, aber in diesem Aufzug kannst du dich einfach nicht bei den Foxtons sehen lassen.«
»Steht es mir?«
»Darum geht es jetzt nicht. Du weißt doch, wie die Foxtons sind. Die Foxtons «, betonte er verzweifelt.
»Sollte ich sie etwa schockieren?«
»Bitte zieh dir schnell etwas anderes an, Liebling. Wir sind schon vierzig Minuten zu spät dran. Mehr sogar.«
» Du bist spät dran. Ich bin schon seit Stunden fertig.« Sie griff zu einem kleinen skalpellartigen Gerät und begann, damit unter ihren Nägeln herumzubohren. Sie widmete sich dieser Aufgabe mit erstaunlicher Konzentration, und ihre nackten Ellbogen hoben und senkten sich langsam im Takt der akkuraten Bewegungen. Sie glich einer Unterwasserpflanze, die sich sanft im Spiel der Meeresströmung wiegt.
»Du gibst sowieso viel zuviel für Kleider aus«, sagte Curtis, dem die Nerven, wie immer beim Anblick ihrer Beschäftigung, durchgingen. »Ich komme nicht mehr nach.«
»Du kommst nicht mehr nach?«
»Mit dem Bezahlen«, stieß Curtis bitter hervor, obwohl er weder schlecht verdiente noch geizig war.
»Hat man dich etwa darum gebeten, Rechnungen zu bezahlen? Rechnungen außer der Reihe?« Sie sah nicht einmal für Bruchteile von Sekunden von ihrer Beschäftigung auf.
»Du könntest mich wenigstens fragen. Ich habe keine Lust, daß sie mir alle auf einmal auf den Tisch flattern.«
Sie ging darauf nicht ein, sondern fragte nur: »Was ist jetzt mit den Foxtons?«
»Ich werde kurz anrufen, während du dich umziehst.«
»Ich werde mich nicht für die Foxtons umziehen.«
Er war ernsthaft bestürzt. Die Foxtons gehörten zu ihren engsten Freunden.
»Liebling, wir werden bald überhaupt keine Freunde mehr haben.«
Gedanken dieser Art waren kaum zu vermeiden, denn selbst wenn Nesta einmal mit ihm ausging, mußte er feststellen, daß sie ihre frühere unauffällige Beliebtheit nicht mehr zu genießen schien; er konnte sich nur zu gut ausmalen, daß er auch für ihre düstere Veränderung verantwortlich gemacht wurde.
Obwohl er weniger als ein Jahr verheiratet war, begann Curtis, seine allabendliche Heimkehr zu fürchten. Nesta nämlich schien nicht nur jeglichen Geschmack an den kleinen Dinner-Parties und zwanglosen Treffen mit ihren Freunden, die er so genoß, sondern überdies auch jegliches Interesse an ihm verloren zu haben. Man hätte indes nicht behaupten können, daß sie den Haushalt vernachlässigte: Im Gegenteil glaubte Curtis nunmehr hinter jeder Kleinigkeit in ihrer Wohnung einen neuen, gewollt-pedantischen Ordnungstrieb wahrzunehmen. Das Ergebnis war jedoch kein Haushalt, den, wie man es sich wünschen würde, unsichtbare und wohlwollende Geister führten, sondern eher frisch entlassene Absolventen eines Instituts für Haushaltswissenschaften. Nestas Fürsorge für ihr gemeinsames Heim schien immer unpersönlicher zu werden, und diesen Eindruck verlieh sie auch ihrem Zusammenleben. Im Grunde genommen hatte Curtis weder aus Leidenschaft noch eines gut geführten Haushalts wegen geheiratet, sondern aus einem Bedürfnis nach emotionaler Nähe. Deshalb traf ihn Nestas verändertes Verhalten besonders schmerzlich. Sie selbst
Weitere Kostenlose Bücher