Glockengeläut
nicht im mindesten einer Braut angemessen; über ihrem Kopf lag ein silberweißer Schleier, gegen den ihr Mund beim Essen wie eine frische rote Wunde wirkte. Für Curtis schien sich die Form von Nestas Mund auf wundersame Weise verändert zu haben: Unmöglich hatte er je zuvor so begehrenswert sein können. Er zwang sich dazu, zu essen und Klage zu führen. Dabei griff er jenes Thema auf, das ihn fast ebenso beunruhigte wie Nestas Verwandlung.
»Wenn du mit dem Geldausgeben so weitermachst, zwingst du mich, deine Rechnungen platzen zu lassen.« Sogar der Löffel, mit dem er seine Suppe aß, war neu und exquisit ziseliert.
»Du bist nicht für meine Rechnungen verantwortlich.«
Nesta verfügte zwar über ein kleines eigenes Einkommen, aber Curtis wußte genau, daß es nicht im entferntesten ausreichen konnte, ihre mittlerweile nahezu täglichen Kauforgien zu finanzieren. Er nahm daher an, daß ihr Leugnen seinen gesunden Menschenverstand beleidigen sollte.
»Ich hoffe nur, daß du das auch vor Gericht erklären wirst. Nach dem Gesetz ist ein Ehemann sehr wohl verantwortlich für die Ausgaben seiner Frau«, stieß Curtis erschöpft und verbittert hervor. Er hegte allerdings keine Hoffnung, damit auch nur den geringsten Eindruck auf sie zu machen.
»Du bezahlst jetzt nicht mehr als vorher.«
Curtis legte seinen wundervoll fremdartigen Suppenlöffel nieder. Er wußte, daß Monate vergangen waren, seitdem alles angefangen hatte, und daß er in der Tat noch keine Rechnungen zu Gesicht bekommen hatte.
»Wer bezahlt es denn dann?«
»Ich bezahle es. Du profitierst davon, ohne einen Penny dafür ausgeben zu müssen.«
»Das kannst du gar nicht. Du hast nicht das Geld dazu.« Sein Bedürfnis, ihren reizenden Mund mit Küssen zu bedecken, brachte ihn um den Verstand. »Es gibt einen anderen. Dieses ganze Gehabe ist für einen anderen!«
Nesta lachte.
»Es ist für einen anderen«, wiederholte Curtis.
»Nein. Es ist für mich.« Sie sprach mit einer Entschiedenheit, die ihm in seiner Wut entging.
»Ich hätte dem ein für allemal einen Riegel vorschieben sollen!«
»Wie denn?«
»Wenn nötig, hätte ich dich eben einsperren müssen.« In dieser Sekunde wäre er sogar zu Schlimmerem bereit gewesen.
»Wie hättest du mir Einhalt gebieten können? Du hast es schließlich in Gang gesetzt.«
Curtis wechselte im flackernden Licht der Kerzen die Farbe. Die Redewendung von den ›Alpträumen, die wahr werden‹, kam ihm in den Sinn.
»Es war nicht einmal wegen dir. Du hast dabei doch nur an mich gedacht.«
»Nesta!« schrie er. »Sag’ mir, was mit dir geschieht!«
Ohne zu antworten, holte sie ein schmales glitzerndes Instrument hervor und begann, ihre Nägel zu feilen. Die Selbstversunkenheit, die jene Tätigkeit immer begleitete, umschloß sie auch diesmal wie ein Vorhang.
Mit einem Gefühl von Furcht, Scham und Mitleid ging er zu ihr. Er zog einen Stuhl heran und legte den Arm um ihre Schultern.
»Nesta«, beschwor er sie, »laß uns wieder so sein wie früher.« Er versuchte, sie zu küssen. Bevor seine Lippen jedoch die ihren erreichten, bemerkte er einen stechenden Schmerz. Er hob die freie Hand zur Wange und zog sie blutbeschmiert wieder zurück.
»Geh’ weg!« kreischte Nesta. »Paß doch auf mein Kleid auf!« Er preßte sein Taschentuch mit beiden Händen gegen die Wange. Das Blut schien förmlich hervorzuschießen. Curtis merkte bereits, wie alles um ihn herum sich blutrot färbte.
Nesta hatte sich erhoben, stand nun in einer Ecke des Raums und sah ihn unverwandt an. Er konnte ihre glänzenden Augen hinter dem weißseidenen Schleier sehen.
Trotz des Schmerzes, den ihm seine Verletzung, und des Ekels, den ihm all das Blut bereitete, sah er noch etwas anderes. Er hatte angenommen, daß Nesta - unglaublich genug - mit der scharfen Metallfeile nach ihm gestochen hatte. Aber als sie dort stand, fiel das Licht auf ihre Hände, und er begriff, daß jeder ihrer lackierten Fingernägel zu tödlicher Schärfe geschliffen war.
»Darauf läuft also deine ganze Maniküre hinaus!«
»Es war an der Zeit, daß du es bemerkst.« Nestas Stimme klang immer noch ruhig. Curtis hatte sich an das entfernte Tischende gesetzt, stützte die Ellbogen auf und preßte das blutdurchtränkte Taschentuch gegen seine Wange. »Sie wachsen so. Ich versuche nur, ihnen ihre Schärfe zu nehmen.«
Curtis starrte sie an.
»Sie herunterzufeilen, damit sie wieder gesellschaftsfähig werden. So wie du sie haben möchtest.«
»Das ist das
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