Glockengeläut
du bei der ganzen Sache zu verlieren hättest«, drängte Curtis weiter.
»Dich vermutlich.«
»Liebling, bitte sei nicht töricht. Ich sage dir doch die ganze Zeit, daß es mir nur um dich geht!«
»Ich frage mich, wie ich mich selbst unter diesen Umständen bis heute habe ertragen können.«
»Du hast eben niemanden gehabt, der sich um dich gesorgt hat.«
Hätte sie das alles so akzeptieren können, wie es gesagt worden war, hätte sie zweifellos zumindest den Versuch unternommen, Curtis’ Wunsch zu erfüllen. Wie die Dinge jedoch nun einmal lagen (obwohl sie nicht daran zweifelte, daß Curtis sie auf seine Weise liebte), unternahm sie nichts. Der Hochzeitstermin stand fest, und Nesta hatte Angst, daß Curtis sie einfach sitzen ließe, gäbe sie seinem Verlangen nach, ohne daß der erwünschte Erfolg sich einstellte.
Nach der Hochzeit wurde es Nesta plötzlich klar, daß Curtis unter seinen Geschlechtsgenossen keine Ausnahme von der allgemein anerkannten Regel machte. Curtis war gerissen genug gewesen, sie mit seinem Anliegen zu einem Zeitpunkt zu verwirren, als sie nichts so sehnlichst wünschte, als eben verwirrt zu werden; die Hochzeit jedoch reinigte ihre Gedanken wie eine Rakete, die eine Wolke durchstößt und zum Abregnen bringt. Das womöglich schlimmste Symptom war, daß Curtis die Angelegenheit seit dem Hochzeitstag nie mehr erwähnt hatte. Offensichtlich hatte er sich dazu entschlossen, sie so zu nehmen, wie sie war. Da sie jedoch nach der langen Zeit ihrer selbstgenügsamen Einsamkeit nach Abwechslung und Abenteuer geradezu hungerte, konnte sie sich mit seiner Reserviertheit nicht abfinden.
Ärgerlich an Curtis’ früherem Drängen war stets die Verschwommenheit seiner Vorschläge gewesen. Wie man es oft bei Männern in schwierigen und unangenehmen Situationen beobachten kann, hatte er sie mit einer Beharrlichkeit zum Handeln gedrängt, die, wie ihr jetzt klar wurde, bewies, daß dieses Thema in letzter Zeit seine Gedanken über sie vollständig beherrscht hatte, ohne aber jemals auch nur einen einzigen praktisch verwertbaren Hinweis zu geben. Er hatte sich lediglich in allgemeinen Betrachtungen zur Notwendigkeit und Wirksamkeit einer ›Schönheitskultur‹ ergangen und dabei mehr als einmal auf plastische Chirurgie angespielt. Bei dem kleinsten Einwand von Nesta hatte er sich jedoch in eine distanziert-gereizte Stimmung zurückgezogen, der sie entnehmen konnte, daß Einzelheiten selbstverständlich ihre Angelegenheit seien. Er erweckte den unterschwelligen Eindruck, daß er wenigstens dies von ihr erwartete. Warum? Vermutlich, weil sie eine Frau war, nahm sie an. Deshalb liebte sie ihn ja schließlich auch.
Die Heirat entfachte darüber hinaus Nestas romantische Empfindsamkeit, die sie zuvor in Staub und Asche des Alltags erstickt hatte. Ihr jetziges Leben, das ihr noch vor einem Jahr als schlichtweg hinreißend erschienen wäre, obgleich sie es damals als unerreichbar aus ihren Vorstellungen verbannt hätte, erschien ihr nunmehr auf eine unpersönliche Weise enttäuschend. Dabei war Curtis’ Leidenschaft, wenn auch eher zurückhaltend, weder etwas Seltenes noch etwas Erschreckendes; Achtung und Rücksichtnahme, die er ihr entgegenbrachte, waren zudem hoch, und schließlich bot er ihr, ausgehungert nach Zärtlichkeit wie sie war, fortlaufend Gelegenheit, ihm zur Hand zu gehen und ihn zu umsorgen. Nur drängte er sie nicht länger, sich wegen ihres Äußeren beraten zu lassen, bemerkte auch nicht mehr, daß jede Frau das täte - oder eben keine Frau sei.
Acht oder neun Monate nach ihrer Hochzeit widmete Nesta dem Problem die ersten konkreten Überlegungen. Wie so oft nach einer längeren Phase der Unentschlossenheit stand ihr die Lösung, ein scheinbar erster Schritt, sofort vor Augen, nachdem sie ernstlich danach zu suchen begonnen hatte: Sie ging in die Bibliothek des Clubs ihrer Mutter und arbeitete sich durch die Kleinanzeigen der Frauen- und Modezeitschriften, die sie in ihrem Apartment nicht herumliegen lassen wollte, um Curtis nicht zu dem Mißverständnis zu verleiten, er hätte sie aufgrund ihres offensichtlich bekundeten Interesses zu bemitleiden. In einem ihr bislang unbekannten Journal (es hieß »Die Flamme«) fand sie eine offensichtlich passende Anzeige. Zurückhaltend, einfühlsam und taktvoll versprach man hier nichts, lud statt dessen zu einer unverbindlichen Beratung ein und schien eben so viel anzudeuten, wie man sich, so dachte Nesta, von einer solchen Sache
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