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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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sie. Die meisten kommen nicht aus dem Wasser, sondern aus der Erde. Kein schöner Anblick.«
    »Wo gehen sie hin?«
    »Ich bin ihnen nie gefolgt, um das herauszufinden. Schließlich bin ich nicht völlig verrückt.« Die rote Glut des Feuers spiegelte sich in seinen Augen.
    Eine lange Zeit sprach niemand.
    »Ich glaube nicht an die Auferstehung des Fleisches«, sagte Gerald. Je später es wurde, desto lauter dröhnten die Glocken. »Nicht im Fleische.«
    »Was für eine andere Art Auferstehung sollte es denn geben? Alles andere ist doch bloße Spekulation. Man kann es sich nicht einmal bildlich vorstellen. Niemand kann das.«
    Gerald hatte zwanzig Jahre lang nicht mehr über derartige Dinge diskutiert. »Also Sie raten mir wegzugehen«, sagte er, »aber wohin?«
    »Egal, wohin.«
    »Ich habe kein Auto.«
    »Dann gehen Sie zu Fuß!«
    »Mit ihr?« Nur seine Augen wiesen in Phrynnes Richtung.
    »Sie ist jung und stark.« Eine verlorene Zärtlichkeit lag in den Worten des Kommandanten. »Sie ist zwanzig Jahre jünger als Sie und deshalb zwanzig Jahre wichtiger.«
    »Ja«, stimmte Gerald ihm zu. »Sie haben recht ... Aber was ist mit Ihnen? Was werden Sie tun?«
    »Ich lebe hier schon einige Zeit. Ich weiß, was ich tun muß.«
    »Und die Pascoes?«
    »Er ist betrunken. Man hat nichts in der Welt zu fürchten, wenn man vollkommen besoffen ist. Tapferkeitsmedaille am Band. Fliegerabzeichen am Band.«
    »Aber Sie trinken nicht?«
    »Seit ich nach Holihaven kam, nicht mehr. Die Lust zum Trinken ist mir hier vergangen.«
    Plötzlich setzte Phrynne sich auf. »Hallo«, murmelte sie in Richtung des Kommandanten, immer noch nicht völlig wach. Dann sagte sie: »Komisch! Die Glocken läuten ja immer noch!«
    Der Kommandant erhob sich und wandte den Blick ab. »Weiter ist wohl nichts mehr zu sagen«, bemerkte er zu Gerald. »Sie haben immer noch Zeit.« Er nickte Phrynne leicht zu und verließ die Lounge.
    »Wofür hast du immer noch Zeit?« wollte Phrynne wissen; sie räkelte sich behaglich. »Hat er versucht, dich zu bekehren? Ich wette, daß er ein Wiedertäufer ist!«
    »So etwas Ähnliches«, murmelte Gerald; er versuchte nachzudenken.
    »Geh’n wir schlafen? Nicht böse sein, ich bin so müde.«
    »Dafür mußt du dich doch nicht entschuldigen.«
    »Oder sollen wir noch einen Spaziergang machen? Das wird vielleicht neue Lebensgeister in mir wecken. Außerdem ist mittlerweile wohl die Flut gekommen.«
    Obwohl er sich dafür schämte, fühlte sich Gerald außerstande, ihr zu erklären, daß sie auf der Stelle aufbrechen mußten, um ohne Fahrzeug und ohne Ziel, wenn es sein mußte, die ganze Nacht zu marschieren. Vermutlich würde er nicht einmal dann gehen, wenn er allein wäre.
    »Wenn du müde bist, ist das vermutlich eine gute Idee.«
    »Liebling!«
    »Ich meine nur ... diese Glocken. Gott weiß, wann sie zu läuten aufhören.« Kaum hatte er dies gesagt, überlief ihn erneut ein Schaudern.
    Mrs. Pascoe erschien wieder in der Tür zur Bar - sie lag derjenigen gegenüber, durch die Kommandant Shotcroft verschwunden war - und brachte zwei dampfende Gläser auf einem Tablett. Sie sah sich um, als wolle sie sicher gehen, daß der Kommandant das Zimmer verlassen hatte.
    »Ich dachte mir, Sie beide könnten vielleicht einen kleinen Schlummertrunk gebrauchen. Ovomaltine mit Schuß.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Phrynne. »Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen.«
    Gerald stellte die Gläser auf ein Tischchen aus Rohrgeflecht und kippte seinen Cognac herunter.
    Mrs. Pascoe machte sich daran, Stühle zurechtzurücken und Kissen aufzuschütteln. Sie wirkte verstört.
    »Ist der Kommandant ein Wiedertäufer?« fragte Phrynne über ihre Schulter hinweg. Sie war stolz darauf, Gerald um Längen voraus zu sein, wenn es galt, etwas Heißes hinunterzuschlucken.
    Mrs. Pascoe hörte einen Moment auf, die Kissen zu richten. »Was meinen Sie, ich weiß nicht«, sagte sie schließlich.
    »Er hat sein Buch vergessen«, stellte Phrynne fest, die offenbar eine neue Spur gewittert hatte. »Ich wüßte ja zu gerne, was er so liest«, fuhr sie fort. »Foxens Buch der Märtyrer wahrscheinlich.« Ein kleiner Spotteufel hatte offensichtlich, höchst ungewöhnlich für Phrynne, Besitz von ihr ergriffen.
    Doch Mrs. Pascoe kannte die Antwort. »Es ist immer dasselbe«, kommentierte sie verächtlich. »Er liest nur ein einziges Buch. Es heißt Fünfzehn Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte. Seit er hierher kam, hat er nur darin gelesen. Wenn er

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