Gloriana
»Bemüht Euch, nicht den ganzen Garten zu verwüsten, Meister Tolcharde.«
Der Erfinder verbeugte sich hastig und dankbar und war wieder in vollem Lauf, um den Männern der Palastwache zuzurufen: »Halt! Halt! Ihr werdet ihn nur noch mehr beschädigen! Laßt mich nur an den Hebel, und er bleibt stehen!«
Die drei Frauen setzten sich auf eine steinerne Bank und lachten mit einer unbeschwerten Fröhlichkeit, die ihnen seit vielen Wochen nicht mehr vergönnt gewesen war.
Aber eben diese Heiterkeit erinnerte Gloriana wieder an ihre Pflicht, wünschte sie doch nichts sehnlicher, als ihrem Hof jene glückliche Zuversicht und Unbekümmertheit zurückzugeben, die nun bedroht war. Montfallcon, von finsterem Argwohn umgetrieben, setzte seinen Willen nicht länger für die Sache der ruhigen Harmonie ein, wenngleich er schwor, daß seine Ziele und sein Ehrgeiz keine Änderung erfahren hätten. Lord Ingleborough, dessen Hinfälligkeit rasch zunahm, konnte sie nicht mehr unterstützen, und die meisten Mitglieder des Staatsrates schienen zerstreut und mit sich selbst beschäftigt. Selbst Dr. Dees Begeisterung für seine Forschungen war verblaßt, wiewohl er die meiste Zeit in seiner Wohnung verbrachte. Die Königin, die sich selbst als Verräterin an Lady Mary sah, fühlte sich von ihrem Rat im Stich gelassen, wenn es auch sein mochte, daß sie zuviel von ihm erwartete. Sie meinte, daß Optimismus und guter Wille allein durch ihr Bemühen an den Hof zurückkehren könnten. Sie mußte dem Hofstaat Vorbild und Ansporn sein; sie mußte die Menschen aus ihrer niedergeschlagenen Stimmung aufrütteln. Sie mußte Albion sein und allen vor Augen führen, daß ein Unglück wie das geschehene, so beklagenswert es war, den Hof nicht aus den Angeln zu heben vermochte. Es gab gegenwärtig niemanden außer Una, auf den sie sich verlassen konnte, und Una war vornehmlich eine persönliche Freundin, für die Glorianas Bedürfnisse vordringlich waren. Die Königin stand auf und verabschiedete sich von ihnen. »Ich habe den Staatsrat einberufen, der mich um diese Stunde erwartet«, sagte sie.
Die Gräfin von Scaith wurde ernst und wollte ihr eine Frage stellen, aber Gloriana schritt bereits auf die Palastfront zu, vorbei an zischenden und schreienden Pfauen.
Mit einiger Verspätung hatten sich die Mitglieder des Staatsrates im Sitzungssaal eingefunden, die schwitzenden Gesichter gesprenkelt mit den Farben der grandiosen Glasmalerei, prächtig anzuschauen in ihrer farbenfrohen Sommerkleidung. Auf einem Sessel, der mit durchgesteckten Stangen zu einer Sänfte gemacht war, wurde Lord Ingleborough von Dienern hereingetragen. Sein Herz machte ihm zu schaffen, und die Gicht steckte jetzt in all seinen Gliedern, so daß er kaum noch seinen Namen unter Dokumente setzen konnte und ständig beträchtliche Schmerzen litt, die er durch verschiedene heilkräftige, doch unbefriedigende Arzneien ein wenig zu lindern suchte. Er trug noch seine Staatstracht mit Talar und Amtskette und war im vollen Besitz seiner Autorität, doch immer häufiger umwölkten seine klugen Augen sich in Schmerzen. Die Gicht hatte sich so plötzlich ausgebreitet, als sei sie von derselben schädlichen Luft herbeigetragen worden, die Mord und Unglück über den Hof gebracht hatte, so daß Sir Amadis Cornfield, der bisweilen zum Aberglauben neigte, mit dem Gedanken umging, Lady Mary sei ein Opfer für einen Dämonen gewesen, beschworen von einem Adepten der Schwarzkunst, der ihn nicht mehr habe bannen können, und der Dämon treibe nun ungehemmt allenthalben sein Unwesen und bringe geistige Zerrüttung, Krankheit und Kummer über die Menschen. Er blickte zu Dr. Dee hinüber, der gealtert und gebrechlich schien, beinahe so schwach wie Ingleborough, doch eigenartig animiert. Sir Amadis schob die beunruhigenden Gedanken von sich und widmete sich angenehmeren Vorstellungen: seiner kleinen Geliebten, die gerade zur rechten Zeit gekommen war, um seine Bürde zu erleichtern. Dieser erfreuliche Moment war bald vergangen, als Sir Amadis sich Lord Gorius Ransleys rücksichtsloser Versuche entsann, ihm das Mädchen abzugewinnen, wobei er unlängst nicht einmal vor der Andeutung zurückgeschreckt war, daß Sir Amadis’ Gemahlin unterrichtet würde. Lord Gorius, ein Witwer und als solcher von vielen unverheirateten Damen begehrt, suchte dieses Mädchen nach Sir Amadis’ Meinung aus reiner Bosheit zu verführen. In den alten Tagen wäre er geneigt gewesen, die Angelegenheit mit einer
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