Gloriana
vergiftet«, sagte Dee, der
Una zunickte, als sie hereinkam. »Und Ihr habt nicht von den
Nieren gegessen?«
»Kaum. Nur ein wenig.«
»Was ist geschehen?« fragte Una. Sie fühlte sich benommen und hilflos. Hatte es in der Nacht ein Massaker gegeben? Gab es außer Tallow und den drei Rhoones weitere Opfer? »Verdorbenes Fleisch«, sagte Dr. Dee. »Die Mägen müssen entleert werden.« »Sie werden am Leben bleiben?« bettelte Rhoone.
»Laßt sie von Euren Dienern in meine Wohnung schaffen …
Nein, zu Meister Tolcharde«, verbesserte Dr. Dee sich hastig. »Es gibt einen Arzt, den ich hinzuziehen kann. Ich werde es mit Gegenmitteln versuchen. Schnell, schafft Tragbahren her!« Una blieb unbemerkt, als Lord Rhoone und Dr. Dee den Abtransport der Frau und ihrer zwei Kinder aus dem Raum überwachten. Am Ende schloß sie sich mit Lord Rhoone und Dr. Dee den Bahrenträgern an, ohne sich klar darüber zu sein, warum sie es tat.
So wurde sie Teil einer Prozession, die im Geschwindschritt den Bahren folgte. Sie zogen durch die alten Teile des Palastes, durch den aufgegebenen Thronsaal, die schadhaften Treppen hinauf, durch die Galerien bis zu Meister Tolchardes übelriechenden Werkstätten und Laboratorien. Dee schlug mit der Faust gegen die eichene Tür. Es dauerte einige Zeit, bis ein Lehrjunge öffnete. Dee wandte sich um.
»Hier darf niemand hinein«, sagte er. »Niemand außer Lord Rhoone. Geheimnisse.«
Una blieb stehen, unschlüssig, was sie tun sollte. John Dee sah sie seltsam an, dann zog er sie durch die Tür ins Innere, ehe er zusperrte und die Riegel vorschob. »Gräfin? Ihr habt davon gehört? Ihr wart rasch zur Stelle.«
Sie schüttelte den Kopf. Rhoone und die Bahren bewegten sich bereits ein gutes Stück voraus durch Meister Tolchardes geheimnisvolle Räume. Dee entschloß sich, mit ihnen weiterzugehen, legte aber die Hand auf Unas Arm, um sie zurückzuhalten. »Ihr glaubt an ein niederträchtiges Spiel, nicht wahr?« »Welches ist Eure Analyse, Dr. Dee?« Er seufzte. »Ein nichtswürdiger Anschlag« sagte er widerwillig, aber mit unterdrückter Erbitterung.
DAS EINUNDZWANZIGSTE KAPITEL
In welchem verschiedene Höflinge der Königin auferstehen und ein
weiterer beerdigt wird
Lord Rhoone kam schwitzend und in grinsender Verwirrung in den Salon der Königin, um sich vor der Monarchin auf ein Knie niederzulassen und dankbar die tröstende Hand zu küssen.
»Gerettet«, sagte er. »Ein Apotheker, eine Art Seher, von dem Dr. Dee wußte.«
»Nicht Dee selbst, lieber Lord Bramandil?« Sie gebrauchte seinen Vornamen, um ihn in dieser Stunde der Tiefe ihrer Zuneigung zu versichern.
»Er konnte nicht helfen. Als sie starben, gab er es zu. Dann brachte Tolcharde diesen anderen herein. Nachdem Ihr gegangen wart, Gräfin. Um die Königin zu unterrichten.« Er sprach zu Unas müdem Rücken. Sie nickte.
»Ein Schnuppern am Atem meiner Lieben, und ein Gegenmittel wurde geschaffen, sie wiederzubeleben. Sie befinden sich jetzt in unserer Wohnung, wo sie sich erholen.« »Dieser Seher«, fragte Gloriana. »Wer ist er?«
»Vielleicht ein Reisender. Dee sagte, er komme aus einer anderen Welt.«
»Ah. Ein Gefangener des Thane.« Sie bezähmte ihren Skep
tizismus.
»Möglicherweise.«
Una hatte durch das hohe, halbgeöffnete Fenster den großen Hof und den künstlichen See in seiner Mitte betrachtet. Sie war sehr bleich und atmete heftig. Nun wandte sie sich um und sagte mit einem Zögern in der Stimme: »Werden sie leben?« Lord Rhoone erhob sich, trat zu ihr und ergriff ihre Hände. »Gräfin, auch Ihr fühlt Euch unwohl, fürchte ich. Ihr müßt mir vergeben. Meine Sorge machte mich blind und taub für alle anderen Überlegungen …«
Sie lächelte, war aber nahe daran, die Nerven zu verlieren. »Ich dachte, wir hätten eine Serie von Morden … Als Dr. Dee so sicher schien …«
»Die Plötzlichkeit und der auf vergangenen Ereignissen beruhende Argwohn haben uns alle überwältigt.«
»Wir müssen Mary vergessen«, sagte Königin Gloriana mit Betonung.
»Wir müssen in diesen Tagen so viel vergessen.« Una blickte umher, als erwarte sie einen Angriff. »Sollte das so sein?« »Ob es so sein sollte oder nicht, wir haben in der Sache kaum eine Wahl.« Gloriana erhob sich. »Es gibt keine weiteren Morde. Verdorbene Nieren waren Ursache des Unglücks in Eurer Familie, nicht wahr, Milord?«
»Diese Hitze, Majestät, läßt alle Innereien rascher als anderes Fleisch verderben. Wir hätten die Nieren nicht
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