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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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ungesunden Labyrinthen untertauchen, für immer entkommen. Sie nahm die breite, geschwungene Haupttreppe, auf der verschiedene Höflinge, darunter auch Sir Amadis Cornfield und Mei ster Auberon Orme, plaudernd beisammenstanden und sie gutgelaunt begrüßten, kehrte in ihre Wohnung zurück und entließ Elizabeth Moffett und ihre anderen Zofen, um ungestört die Verkleidung anzulegen, die sie inzwischen mit ihren düsteren Vorahnungen und der frisch entdeckten Melancholie in Verbindung brachte: Beinkleider und Wams, Degen und Stulpenstiefel, Umhang und Barett. Die Waffen (sie hatte außerdem zwei Dolche in den Gürtel gesteckt) wußte sie zu gebrauchen, denn als junges Mädchen in Scaith war sie im Waffenhandwerk unterrichtet worden und hatte die Königin bei den Turnieren, die alljährlich zum Fest der Thronbesteigung stattfanden, mehrere Male als Amazone in voller Rüstung unterhalten. Dieses Jahr sollte sie an Sir Tancreds Statt den als Bauernburschen verkleideten Ritter spielen. Sie ging an ihren Schreibtisch, dachte über die Notiz nach, die sie hinterlassen wollte, ließ dann die Feder auf dem unbeschriebenen Blatt liegen und stellte den Stuhl auf den Tisch an der Wand, wie sie es getan, als sie Tallow entdeckt hatte. Im Gewebe des Wandbehangs waren noch rötliche Verfärbungen zu sehen, wenn das Auge danach suchte. Sie zog das Holzgitter aus der Öffnung, überlegte, ob sie es auf das Bett legen solle, und besann sich auf die notwendige Verschwiegenheit.
    Aus einem Korb (den eine fürsorgliche Elizabeth Moffett gebracht hatte) miaute die kleine schwarz-weiße Katze, als wollte sie sie warnen. Una streichelte ihr den Kopf und überlegte, wie sie es anstellen sollte, um keine unerwünschte Fährte zu hinterlassen. Sie nahm eine lange Kordel von einem der Bettvorhänge und band sie um das Holzgitter, während sie das Ende mit der Quaste um ihr Handgelenk wickelte. Dann kletterte sie auf den Stuhl, eine Kerze, Feuerstein und Zunder in der Tasche, um sich durch die Öffnung hinaufzuziehen. Es war schwierig, und nachdem sie auf sie Stuhllehne gestiegen war und mit Kopf und Schultern bereits in dem engen, niedrigen Gang steckte, mußte sie den Stuhl vom Tisch stoßen und Füße und Knie gegen den Wandteppich stemmen, um ganz hinaufzukommen, wobei der Gobelin zu ihrem Verdruß teilweise aus seiner Aufhängung gerissen wurde. Sie zwängte sich ganz durch das Loch, zog das Gitter an der Kordel nach und brachte es wieder an. Das freie Ende befestigte sie an einem Balkenstück, das aus den Mauersteinen ragte. Nachdem sie so ihren Zugang getarnt und sich die Rückkehrmöglichkeit gesichert hatte, kroch sie eine Weile durch Dunkelheit in die Richtung, aus der in der vergangenen Nacht der sterbende Tallow gekommen war.
    Als die enge Röhre sich zu einem Gang weitete, zündete Una eine Kerze an und sah, daß sie aufrecht stehen konnte. Sie bedauerte, daß sie keine Blendlaterne mitgenommen hatte, die sich verdunkeln ließ, denn die Kerze blendete und konnte sie verraten. Sie zog ihren Degen, und die blanke Waffe in der Hand machte ihr Mut, schenkte ihr sogar ein trügerisches Gefühl von Unverwundbarkeit, und so drang sie entschlossen weiter vor, bis sie die Galerie und den Saal mit den Schnitzwerken erreichte. Die dunklen Eingänge zu den Gefängniszellen gähnten von der Seite herüber, und die geschnitzten Monstrositäten kamen ihr nicht mehr merkwürdig vor, sondern bedrohlich. Weitere Gänge, eine zweite Galerie und von dort eine Treppe, die sie in eine weite, dunkle und verlassene Säulenhalle führte, die vor zwei- oder dreihundert Jahren die Toreinfahrt eines Gebäudes geziert haben mochte. Una verwechselte sie mit der Halle, in welche Tallow sie und die Königin geführt hatte, stieg die Treppe bis zu einem Absatz in mittlerer Höhe hinunter und spähte über die Steinbalustrade. Die Halle war kleiner, als es zuerst den Anschein gehabt hatte, und unbenutzt. Albinoratten erhoben sich auf ihre Hinterteile, um aus furchtlosen rosa Augen zu ihr aufzublicken.
    Sie machte kehrt und eilte die Treppe hinauf, von fröstelnden Schauern überlaufen. Ihre Ohren vernahmen ein Rascheln oder Scharren, das sie den Ratten zuschrieb und nicht weiter beach tete, dann ein Gewisper, das entweder von Menschen oder Tieren herrühren konnte, aber von einer Art war, die sie von früheren Abenteuern im Labyrinth der Gänge kannte, so daß sie ihrer momentanen Panik rasch wieder Herr wurde. Immerhin hielt sie die Kerze nun mit Bedacht so, daß

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