Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
Vom Netzwerk:
Volk, und sie fühlte sich abermals an ihre eigene Vorstellung von einem Machtkampf innerhalb dieser Labyrinthe erinnert, der teils territoriale, teils philosophische Ursachen haben mochte. Und wieder kamen ihr Tallows letzte Worte in den Sinn: »Er … er hat mich getötet. Ich wehrte … wehrte mich.«
    Die geräumige Galerie prunkte mit einem großen Deckengemälde: die Irrfahrten des Odysseus, dargestellt mit soviel künstlerischer Vollendung, daß Una gezwungen war, stehenzubleiben und die einzelnen Teile des Gemäldes zu bewundern, soweit Staub und der trübe Schein ihrer Kerze es zuließen. Sie fühlte sich hingerissen zu ehrfürchtiger Bewunderung. Niemals und nirgendwo hatte sie ein Gemälde gesehen, das diesem an Vollkommenheit gleichkam, doch war es irgendwann einmal aus der Mode gekommen und in Vergessenheit geraten, als ein anderer Teil des Palastes hinzugefügt und alles dies umbaut und überbaut worden war, begraben vom Wechsel des unsteten Geschmacks und verständnisloser Verlegenheit gegenüber der Kunst eines früheren Zeitalters, mochte sie noch so vollendet und zeitlos scheinen. Wenige Herrscher, dachte Una, besaßen die feine Sensiblität und den Kunstsinn, welche die Welt mit Recht in ihnen vermuten mochte. Die meisten waren geradezu vulgär, und ihre Vorliebe für Gepränge und grandiosen Pomp wie auch ihre einfacheren Beschäftigungen (wie die Fuchsjagd mit der Meute und die gigantischen Treibjagden) befanden sich in solch völligem Einklang mit dem allgemeinen Geschmack ihrer Untertanen, daß sie die Mehrheit tatsächlich bei weitem zufriedenstellender symbolisierten und verkörperten, als jede Gruppe von gewählten Abgeordneten einer Republik. Mit Bedauern verließ Una diese Malerei, nachdem sie lange gezögert hatte.
    Sie trat durch eine große Flügeltür und sah sich in einer Wohnung oder mehrere Wohnungen, deren Salons, Schlafgemächer und dergleichen voller altmodischer Möbel standen und deren vom Alter mürbe gewordene Laken und Bezüge aus Leinen und Seide offenbar noch in Gebrauch waren. Einmal geriet sie in eine Schlafkammer, wo ein Mann und eine Frau, beide mager und schmutzig, aber mit samtgefütterten, goldenen Kronen auf den Köpfen, in einem Himmelbett schliefen. Ein anderes Mal beobachtete sie aus der unvollkommenen Deckung einer Nische den Vorbeimarsch einer Prozession gebrechlicher Jammergestalten, gehüllt in die fadenscheinigen Staatsgewänder längst dahingegangener Lords und Ladies, deren zerschlissene Schleppen von blinden Kindern getragen wurden, und sie stand still und starrte, ohne einen Versuch zu machen, den seltsamen Zug anzuhalten und sich zu erkundigen, wo sie war. Diese Menschen waren aus Fleisch und Blut, wie ihre ungewaschenen Gerüche nur zu eindeutig bewiesen, aber Una konnte sie gleichwohl nur als Gespenster sehen; als hielten die früheren Herrscher Albions weiter Hof, während spätere Generationen über ihnen Schicht um Schicht aufeinandertürmten. Die Gräfin von Scaith wußte, daß sie früher oder später einen ortskundigen Bewohner dieser Unterwelt finden und nach dem Weg fragen mußte, oder sie würde den Rest ihres Lebens in den Wänden und unteren Schichten des Palastes umherirren und das Schicksal dieser verrückten Geschöpfe teilen. Sie fand eine Art Hintertreppe, schmal und gewunden, und stieg sie hinab, ohne der Durchgänge zu achten, die von den Treppenabsätzen ausgingen, bis sie am unteren Ende anlangte. Sie ging weiter, doch schon nach wenigen Schritten traf ihr Fuß einen schweren, massigen Körper. Als sie in Erwartung eines weiteren Leichnams die Kerze senkte, blickte sie in die sanften, fremdartigen Augen eines gewaltigen Reptils, die sie betrachteten, in langen Abständen unterbrochen vom gemächlichen Schließen und Öffnen lederiger, faltiger Lider. Dann öffnete sich das lange, rote Maul, ließ ein Zischen hören, und das Tier setzte sich in Bewegung, schwerfällig, ohne Eile und, wie Una meinte, liebenswürdig. Sie dachte daran, ihm zu folgen, wie ein verirrter Wanderer einem zutraulichen Hund folgen mag, aber es verschwand in einem Gang, der zu niedrig und eng war, als daß sie bequem darin hätte weitergehen können, und sie scheute das Risiko, mehreren dieser Kreaturen zu begegnen. Als sie sich auf der Suche nach einer weiteren Tür umwandte, sah sie ein Mädchen in der einfachen, sauberen Kleidung einer Bauerndirne in der Nähe stehen und sie verwundert anstarren. Das Mädchen war im Gegensatz zu allem anderen, was Una hier

Weitere Kostenlose Bücher