Gloriana
konventionelle Tröstungen, Tom, aber sie entließ ihn genauso wie die anderen. Anscheinend argwöhnt sie, daß auch die Gräfin von Scaith ermordet wurde. Sie denkt, das Blut in dem Zimmer sei das ihrer Freundin.« »Könnte es nicht so sein?«
»Dann wären Spuren eines Kampfes zu sehen gewesen, nicht nur ein umgeworfener Stuhl.«
Ffynne stand der Theorie skeptisch gegenüber und ließ es erkennen. »Dann gibt es auch keine Zeichen von Perrotts Tod, nicht?«
»Das ganze Geheimnis ist des langen und breiten erörtert worden.« Montfallcon erhob sich seufzend. »Sie hatte viel Zeit, um sich zu vergewissern, daß sie bei Perrotts Ermordung nicht gesehen wurde. Sie wäre nicht geflohen, hätte sie sich nicht beargwöhnt gefühlt.« »Wurde sie denn verdächtigt?« »Von mir. Ich habe ihr immer mißtraut.«
»Und in Scaith gibt es keine Nachricht von ihr?«
»Keine. Sie wird im Ausland sein. Sie ist überall begütert. Manche sagen sogar, der Herrscher der Tatarei sei ihr Liebhaber.«
Tom Ffynne wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel. »Die Königin bedarf unserer Unterstützung, Perian. Will sie diese nicht von mir, so wird sie sie anderswo finden. Una von Scaith war ihre engste Freundin. Vielleicht ihre einzige Freundin im Privatleben.«
»Die Königin ist keine Privatperson«, sagte Lord Montfallcon. »Ich hoffe, daß sie sich zeitig genug darauf besinnen möchte, und daran denken, daß Albions Freunde ihre Freunde sind. Es ist eine einfache Gleichung.«
»Es mag sein, Milord«, sagte Sir Thomasin Ffynne, »daß wir unsere Gleichungen zu einfach angelegt haben. Wo, übrigens, ist Dr. Dee? Ich sollte meinen, er würde erfreut sein, Ihre Majestät zu trösten.«
»Er ist besessen von seinen Experimenten. In den letzten Tagen hat er seine Räume kaum verlassen.«
»Es scheint, wir sind auf einmal alle von ihr geschieden«, sagte Tom Ffynne.
Er humpelte zur Tür. »Was meint Ihr, Perian, welche Erklärungen gibt es dafür?«
Montfallcon blickte auf. »Was? Auch Ihr gebt mir die Schuld?«
Tom Ffynne wandte sich um und sagte: »Ihr seid schnell bei der Hand, wenn es gilt, Anschuldigungen zu wittern. Ich stellte die Frage nur mit der Hoffnung, daß Euer schärferer Verstand eine Antwort finden möchte.«
»Ich bin von vielen Fragen geplagt«, sagte Montfallcon bekümmert. »Vergebt mir, Tom.«
»Nun, denkt darüber nach. Eure Aufgabe ist es schließlich, die Einheit des Hofes und des Reiches zu erhalten. Und der Kern dieser Einheit ist unverändert die Königin. Ohne diesen Kern muß das gesamte Gebäude zusammenstürzen, nicht?« »Das habe ich immer gesagt.«
»Dennoch denken wir nicht allzuviel darüber nach, wie wir den Kern zu schützen und zu bewahren haben. Und zu heilen, wenn er verletzt ist. Wir müssen freundlich und sanft sein. Sie ist eine Frau, aber in mancher Weise müssen wir sie uns als ein Kind denken, Perian.«
Aber Lord Montfallcon seufzte müde. »Zärtlichkeit und Sanftmut sind ganz verflogen, Tom. Geblieben ist nur die Pflicht.«
»Dadurch werden Ehen verbittert und zynisch, denke ich«, erwiderte Tom Ffynne. »Aber wie Lisuarte habe ich nie geheiratet, also bin ich vielleicht nicht der beste Richter.«
»Ich bin viele Male verheiratet gewesen«, sagte Montfallcon, und der Kummer machte seine Stimme dumpf und undeutlich.
DAS DREIUNDZWANZIGSTE KAPITEL
Die Königin wohnt den Festlichkeiten zum Jahrestag ihrer Thronbestei
gung bei. Die Ritterlichkeit erfährt eine Bekräftigung, und Gloriana
findet einen neuen Champion
In brennendem Gold und schimmerndem Silber, in glänzendem Jett und blitzendem Stahl, in Schuppen und Ketten, in Leibrökken aus feinster Seide, in leuchtendem Blau und Rot, Grün und Gelb, Purpur und Braun, in einer tanzenden See von Federbüschen in allen Regenbogenfarben, flatternde Wimpel an den Lanzen, die Schilde ziseliert und getrieben, überragt von leuchtenden Standarten, die Pferde genauso gepanzert und farbenfroh herausgeputzt wie sie selbst, rasselten die Turnierstreiter der Königin durch die weiten Tore auf den großen Platz und begannen ihn in einer festlichen Prozession zu umreiten. Über ihnen drängte sich gemäß einem alten Privileg das gemeine Volk auf Dächern, Mauern und in Bäumen und feierte seine Favoriten mit Gebrüll und Hochrufen von allen Seiten. Von dem alten Balkon des Ostflügels, wo schon ihr Vater und ihr Großvater gesessen hatten, winkte Königin Gloriana ihren Rittern zu, verteilte Rosen (die aufs Geratewohl hinuntergeworfen
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