Gloriana
wurden) und wurde immer wieder mit lauten Zurufen und wildem Hurrageschrei einer Menge gefeiert, die durch das Gepränge und die hochsommerliche Hitze in eine Art Taumel geraten war. Lanzen wurden gehoben und gesenkt; runde Turnierschilde wurden zur Schau gestellt, während Herolde die Ehrenliste verlasen. Aus dem ganzen Reich waren Ritter gekommen, um sich vor der Königin zu messen. Berühmte Namen klangen auf: Tirante, Herzog Lyonnais; Sir Gandalac vom Mondtal im Nordland; Sir Esplandian von Valentia; Sir Hektor Rannach von Hibernia; Sir Turquine von Lincoln – alle mit ihren Knappen, ihren Pagen und Höflingen, ihren Herolden und Lehnsleuten. Und von außerhalb Britanniens kamen Sir Hakan von Tauron, der Huronenkönig, die Rüstung geschmückt mit Perlenketten und Kriegsfedern; Sir Herlwin von Skye; König Desrame von Mauretanien; der Emir von Saragossa; Prinz Hira von Bombay; der Sultan Matroco von Äthiopien; Prinz Shan von Cathay; Sir Bulamwe von Benin – viele von ihnen der Menge wohlvertraut, da sie jedes Jahr an den Turnieren teilnahmen und nicht nur auf dem Turnierplatz miteinander wetteiferten, sondern auch in der Prachtentfaltung ihrer Kleidung, ihrer Waffen, Pferde und ihres Gefolges. Manche von ihnen führten in ihrem Gefolge seltsame, komische oder schreckliche Gestalten mit sich: Zwerge, Narren, vierarmige Jungfrauen, wilde Männer und Riesen, phantastisch ausstaffiert als Faune, Dämonen und Götterkinder. Andere hatten Tiere wie Einhorne, Elefanten und Giraffen mitgebracht, von denen sie ihre prächtigen Karossen ziehen ließen; wieder andere kamen wie zur Jagd dahergeritten, begleitet von Rudeln dressierter Hyänen und Affen; und Sir Miles Cockaigne, der sich damit rühmte, daß er in seiner ganzen Laufbahn niemals einen Turnierkampf gewonnen hatte, ließ sich von Musikanten und Tänzern begleiten, und seine Knappen trugen Sackpfeifen anstelle von Waffen, während er selbst, in gewürfeltem Leibrock und lockerem, lückenhaftem und verschiedenfarbigem Schuppenpanzer, als Sir Harlekin der Kühne kam, um die Königin und das Volk zum Lachen zu bringen.
Alle suchten Gloriana zu gefallen, doch die Edlen von den Schlössern und den großen Geschlechtern Albions, die ihren Reichtum und die Zahl ihrer Hintersassen dem Königslehen verdankten, die ihre Gesetze anwandten und ihr Recht sprachen, die jener Generation angehörten, welche sie verehrte und für die sie ein Symbol der Gerechtigkeit und des Idealismus war, diese Festteilnehmer beobachteten sie, besorgt um Bestätigungen, die sie geben mußte, und in dem Bewußtsein, wie leicht die Tugend des Idealismus zum Laster des Zynismus werden kann. Durch sie und mit ihrer unbedingten Unterstützung hatte Montfallcon ein neues Klima in Albion geschaffen, und der subtile Gebrauch von Schaugepränge und Mythen war eines der Mittel gewesen, die er dabei verwendet hatte – eine goldene Lüge, verbreitet in dem festen Glauben, daß mit der Zeit eine silberne Wahrheit daraus würde, eine Lüge, die beinahe alle hinzunehmen bereit waren, aus den gleichen Gründen, aus denen Montfallcon sie verbreitete. Und die Feierlichkeiten aus Anlaß der Wiederkehr von Glorianas Thronbesteigung, die eine ganze Woche dauern würden, waren ein sichtbares Zeichen ihrer Teilhabe an und ihrer Verpflichtung zu diesen Prinzipien. So grüßten sie Gloriana und waren frohgemut, fochten in guter Freundschaft und gemäß den komplizierten Regeln der Ritterlichkeit in einer Schaustellung, welche das gemeine Volk erfreuen, ihre Treue zu allem, was Gloriana verkörperte, bestätigen und, durch einen Wettstreit nicht nur in körperlicher Kraft und Anmut, sondern auch durch Rituale der Ehre und Bescheidenheit ihrem Willen zur Vergeistigung, zum wahren Ideal des Rittertums Ausdruck geben sollte.
Die Königin hatte sich in die lange Galerie zurückgezogen, wo sie, wie es königlicher Brauch war, in Bequemlichkeit sitzen und das Turnier durch das Glas verfolgen konnte, das sie gegen Staub, Hitze und bis zu einem Grade auch gegen Lärm schützte, und zeigte sich von einer leutseligen und gelösten Seite, daß manche unter denen, die sie nicht kannten, leicht zu dem voreiligen Schluß gelangen konnten, sie sei kaltherzig, weil sie verlorene Freundinnen so rasch vergesse. Viele ausländische Gesandte, Ehrenjungfrauen und Adjutanten, Höflinge, Angehörige von Mitgliedern des Staatsrates, Frauen und Kinder der Turnierteilnehmer unten auf dem Hof, Bekannte der Königin aus den Provinzen, welche
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