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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Schädel blickend.
    Tolcharde wandte sich zur Musikgalerie und winkte mit dem Hut. Nach einer kurzen Pause erklangen die ersten Takte einer leichten, tänzerisch beschwingten Musik, die in auffallendem Gegensatz zu derjenigen stand, mit welcher der Abend begonnen hatte. Die Königin ließ ihren Becher mit Wein auffüllen. Quire lehnte sich in die Couch zurück.
    Meister Tolcharde klatschte in die Hände. Am oberen Ende des langen Raumes begannen Gestalten zu erscheinen. Es waren Tänzer in glitzernden Kostümen, so leichtfüßig und elegant, daß Meister Priests Truppe im Vergleich dazu als eine Ansammlung von Krüppeln erscheinen mochte. Näher und näher tanzten sie, vollführten Sprünge und Pirouetten, berührten einander bei den Händen, und als sie sich der freigemachten Fläche vor dem Podium näherten, schien es, daß sie starre Masken vor den Gesichtern trugen – metallische Masken mit leeren Augen und ausdruckslosen Mündern. Da waren Harlekin in einem gewürfelten Kostüm und mehrere verschiedene Hanswurste, ein Pierrot, Colombine und Isabella, der Doktor und der alte Pantalone. Da war der aufschneiderische Scaramouche mit Federhut und Degen, ein rotgesichtiger Musketier. Und sie tanzten in einer Reihe vor der Königin; dann verbeugten sie sich alle gleichzeitig mit einer einzigen Bewegung und ließen einen Hofknicks folgen, während die Musik eine Pause machte. Alles an den Tänzern war aus Metall, die Kostüme, die Hände und Füße, bunt bemalt, aber aus Metall. Auch die Gesichter.
    »Seht«, sagte Meister Tolcharde voller Stolz, »meine mechanische Harlekinade!«
    Die Königin atmete schwer und drückte eine Hand an ihr Herz. »Sie sind nicht menschlich, Meister Tolcharde? Nichts daran? Sie sind so schön!«
    »Durch und durch aus Metall, Majestät. Vollkommenere Kreaturen sind nie gemacht worden.«
    (Dr. Dee tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit Kapitän Quire.)
    Sie begannen wieder zu tanzen, und tanzend führten sie ein ganzes Schauspiel auf: von gewonnener und getäuschter Liebe, von bedrohter und gerächter Liebe. Und obgleich ihre harten Metallgesichter keinen Ausdruck zeigten, drückten ihre mechanischen Körper die Geschichte zu Herzen gehend aus. Gloriana schmiegte sich enger an Quire und genoß die Aufführung. Harlekin glaubte sich von Colombine betrogen, denn Isabella war eifersüchtig und wollte ihn für sich, und so erweckte sie den Anschein, daß Colombine in Scaramouche verliebt sei. Harlekin wiederum wandte sich aus Enttäuschung und Rachsucht Isabella zu, nur um die Wahrheit zu spät zu erfahren, und als er eilte, sich Colombine zu Füßen zu werfen und alles aufzuklären, wurde er von ihrem rachedurstigen Messer getötet. Als sie nun die Wahrheit erfuhr, nahm sie Gift. Die letzten Takte des Tanzspiels waren ein langsamer Trauermarsch, in welchem der frühere Tanz von Meister Priests Ensemble anklang.
    Die meisten Zuschauer waren beträchtlich bewegt, insbesondere die Herren Cornfield, Ransley und Wallis, die sich alle in ihrer Liebe betrogen fühlten. Auch Alys Finch weinte sehr und wurde von Sir Orlando getröstet. Quire war die Pantomime gleichgültig, da aber die Königin über die Maßen begeistert schien, applaudierte er enthusiastisch. Die mechanischen Puppen tanzten davon.
    »Ihr müßt sie wieder präsentieren, Sir«, sagte die Königin zu Meister Tolcharde. »Viele Male. Führen sie auch andere Vorstellungen auf?«
    »Noch nicht, Majestät«, antwortete Meister Tolcharde entschuldigend. »Nur diese eine. Aber sie können eingestellt werden, für Komödie wie für Tragödie. Wenn Ihr es gestattet, werde ich sie zu Eurer nächsten Lustbarkeit mitbringen.« »Immer wieder müßt Ihr das tun, Meister Tolcharde. Wir danken Euch!«
    Tolcharde war niemals beglückter gewesen. Strahlend folgte er seiner Harlekinade hinaus. Quire vermeinte die Toten tanzen gesehen zu haben. Er stand auf. Er müsse sich erleichtern, sagte er.
    Als er hinauswollte, zupfte Sir Amadis ihn am Umhang. »Kapitän Quire?« fragte er in bittendem Ton. Aus einiger Entfernung blickte Ransley finster herüber, auf goldfarbene Polster gebettet und die Aufmerksamkeiten von zwei Geishas
    erleidend. »Ja, Sir Amadis? Was kann ich für Euch tun?«
    »Euer Mündel – Eure Schutzbefohlene … Das Mädchen …« »Alys ist nicht meine Verantwortung, Sir. Nicht mehr. Einst beschützte ich ihre Jungfräulichkeit, aber nun gibt es nichts mehr zu beschützen.« Quire war ein entschiedener Verfechter der Moral. »Aber

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