Gloriana
Ihr mit ihm unternehmen wollt – auf den Spuren Montfallcons.«
»Richtig. Oubacha Khan meint, die Katze möchte uns zur Gräfin von Scaith führen. Es ist eine schwache Hoffnung, aber wir gehen insgeheim, mit fünfzig bewaffneten Tataren. Sie werden das Gesindel mit Leichtigkeit besiegen, des bin ich sicher. Die Tataren sind die besten Kämpfer der Welt. Oubacha Khan liebt die Gräfin, verstehst du. Er meint, sie sei das Opfer einer Verschwörung – entweder Montfallcons oder Quires –, und ist entschlossen, sie zu finden, selbst wenn es bedeuten
sollte, daß er ihren verwesten Leichnam findet.« »Ihr habt den Brunnen ausräumen lassen?«
»Ja, und nur einen Vagabunden entdeckt, wahrscheinlich einen Bewohner der Wände.«
»Wann wollt Ihr die Expedition unternehmen, Sir?« »Sehr bald.« »Werdet Ihr Montfallcon davon unterrichten?«
»Nein. Er würde uns nur verraten, wenn auch unabsichtlich. Er ist nicht mehr im Besitz all seiner Sinne. Das ist er seit einiger Zeit nicht mehr, sonst hätte er schon vor langer Zeit Quires Werk ausgemacht, seit der Ermordung von Lady Mary. Nun spricht er von Zerstörung als der einzigen Antwort auf unsere Leiden.«
Alys Finch sah Quire zurückkehren, und eine versonnene kleine Falte erschien auf ihrer glatten Stirn.
Quire wurde von einem weinenden Wallis aufgehalten. »Quire … Kapitän Quire … der Junge betrügt mich«, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme. »Sprecht zu ihm, ich bitte Euch. Der Schmerz, den er mir bereitet, bringt mich noch um.« Quire lächelte auf den armen Wallis herab und klopfte ihm auf die Schulter. »Natürlich, das werde ich tun.« Er hielt nach Phil Ausschau. Starling erfreute sich der Aufmerksamkeit eines halben Dutzends Damen und Serail-Galanen, bemerkte Quire aber sogleich und lachte spöttisch herüber. Quire seufzte. »Es fehlt diesem Jungen an Anstand. So war es schon immer.« »Ihr müßt ihm ordentliches Betragen beibringen.« Quire hob die Arme. »Wie?« »Ihr tragt die Verantwortung für ihn.«
Quire lächelte. »Wie die Königin sie wegwirft, sammeln sie
sich bei mir.« Er würde glücklicher sein, wenn sein Werk
vollendet wäre.
»Er bringt mich um«, sagte Wallis.
»Sucht Euch einen anderen«, antwortete Quire. »Es gibt viele hier. Die Aufmerksamkeit eines Mannes von Eurem Stand
würde jedem schmeicheln.« »Ich liebe ihn.«
»Ach«, sagte Quire mit einer Handbewegung. Er sah, daß Sir Amadis und Lord Gorius sich anschickten zu gehen. Sein Blick ging weiter zur Königin. Sie war stark betrunken und winkte ihn zu sich. »Ich muß gehen. Die Pflicht, Meister Wallis.« Er ließ den unglücklichen Sekretär stehen und ging zwischen den gepolsterten Ruhebänken und Tischen nach vorn und erstieg die Plattform.
»Wir wollen uns zurückziehen«, sagte sie, lallend vor Trunkenheit.
Quire sah, daß Sir Ernest über die schlafende Lady Lyst gesunken war und schnarchte. Die Hälfte der Gäste war in ähnlichem Zustand. Die Bewohner des Serails zogen sich still zu ihren verschiedenen Quartieren zurück. Die Königin stand schwankend auf und stützte sich schwer auf Quires Schulter. Sie überragte ihn fast um eine Elle. Er mußte mehr von seinen Kräften aufbieten, als er normalerweise gezeigt hätte, um ihr die Stufen hinunterzuhelfen. »Meine Kinder«, murmelte sie. Quire blickte verwundert zu ihr auf.
»Ich hatte den Mädchen versprochen, daß ich sie besuche.« Sie zeigte zum Ende des Saales. »Wir müssen dort hinaus. Sie sind in den anstoßenden Räumen. Natürlich nicht in Kontakt mit den anderen hier …«
»Ich weiß«, sagte er. »Aber der Besuch wird morgen stattfinden müssen. Ihr könnt den morgigen Tag mit ihnen verbringen.«
Sie war es zufrieden und nahm sich vor, daran zu denken. So ließ sie sich von ihm an den Wächtern vorbei durch eine Zimmerflucht, den Korridor und weitere Räume zu ihrem Schlafgemach führen. Mit einem Geklingel von Gold und Juwelen fiel sie auf das Bett und begann augenblicklich zu schnarchen. Quire hatte ihr zu diesem Zustand verholfen und war über zeugt, daß sie. mehrere Stunden schlafen würde. Mit einer behutsamen Zärtlichkeit, die ihm zur Gewohnheit geworden, befreite er sie von den meisten Schmuckstücken und den Kleidern, die sich leicht entfernen ließen, zog eine Decke über sie und verließ den Raum. Ein an die Lippen gelegter Zeigefinger genügte, und die Zofen und Kammerjungfrauen waren sich über den Zustand der Königin im klaren. Er wollte ihre Gemächer durch den
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