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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Glorianas Kindern, vielleicht die jüngste. Gloriana, die in der Benommenheit des Schocks beinahe ruhig wirkte, nahm dem Riesen das Kind ab und sagte: »Kämpfen sie? Dort drinnen?«
    Quire lief an dem Wächter vorbei, als der Mann in die Knie brach und vornüberfiel. Die kleine Gestalt in dem hinderlichen Nachthemd, den langen iberischen Degen in der Rechten, bot er einen seltsamen Anblick, als er durch die Zimmerflucht rannte, Wandbehänge zurückzog und nach der Tür zum Serail suchte. Schließlich fand er sie halb geöffnet, aufgebrochen vom Gewicht des Riesen, und sprang hindurch, eilte die Treppe hinauf und hörte schon die Schreie voraus; durch die dunklen, üppig stuckierten Räume mit den in die Wände eingesetzten Edelsteinen rannte er, die bloßen Füße in den weichen Teppichen versinkend, bis er die Tür erreichte, wo die zwei Wächter gestanden hatten. Der schwarze Zwilling war nicht auf seinem Posten. Quire stieß die Türflügel auf und stand im Festsaal des Serails. Zu seinen Füßen lag der Leichnam des schwarzen Riesen.
    Schleichende Aderlasser schwärmten durch die Räume und schlachteten alles ab, was Leben zeigte. Schon wurden die Schreie der Sterbenden seltener.
    Es war das Gesindel aus den Wänden. Es metzelte die Bewohner des Serails ohne Unterschied und Ansehen der Person nieder. Die meisten der armen, weichen Geschöpfe waren bereits tot. Einige wenige rannten hier und dort auf der Flucht vor nachsetzenden Verfolgern oder versteckten sich wimmernd; alle Zwerge und Geishas, die Krüppel und Jugendlichen, die Gloriana hier in dieser Menagerie der Sinnlichkeit beschützt hatte. Ein schwerfälliger, dicht behaarter Mann schwankte gurgelnd in den Saal, krachte gegen einen Springbrunnen und fiel in das Becken; zwei lange Piken staken in seinem haarigen Rücken. Ein kleiner Junge lief vorbei, den Stumpf eines abgetrennten Armes mit bluttriefenden Fingern umklammernd. Anderswo war die Metzelei noch obszöner: ein höllisches Schlachthaus.
    Das Gesindel war durch zwei oder drei der geheimen Zugänge gekommen, die Quire allein zu kennen vermeint hatte. Er blickte zur anderen Seite, wo die Räume der Kinder gewesen waren. Auch dort lagen die Leichen zuhauf, kleine und große: die Mädchen, ihre Wächter und Erzieherinnen. Acht von den neun Kindern der Königin. Quire hatte Schlachtfelder gesehen, Schiffskämpfe und Massaker, aber niemals ein derart abstoßendes. Langsam bewegte er sich zwischen den übereinanderliegenden, frisch getöteten Körpern, sprachlos vor Bestürzung. Phil Starling kam auf ihn zugelaufen, daß die Arm- und Fußringe an seinem bemalten und eingeölten Körper klingelten »Oh, rettet mich, Herr! Rettet mich, Kapitän! Ich wollte sie nicht einlassen! Ich suchte Alys!«
    Quire wollte sich zurückziehen, dann bemerkte er, daß Gloriana hinter ihm war. Er seufzte und nickte dem Jungen zu. »Phil, geh dort durch – schnell!«
    Aber Phil hatte kaum ein paar Schritte in Richtung auf die bezeichnete Tür getan, als eine hagere Gestalt sich auf ihn stürzte und Phil mit einem furchtbaren Säbelhieb vom Nacken bis zu den Lendenwirbeln spaltete, wie ein erfahrener Metzger ein aufgehängtes Schwein mit einem Hieb zerteilt. Der Junge stürzte mit klaffendem Rücken vornüber und war tot. Phils Mörder stand über dem gefällten Körper, keuchend, berauscht vom Schrecken des eigenen Tuns, und hielt nach weiteren Opfern Ausschau. Er trug eine Fellkappe schief auf dem Kopf, und sein mageres Pferdegesicht zeichnete sich durch lange, vorstehende Vorderzähne aus. Sein seidener Rock war blutdurchtränkt, desgleichen die Kniebundhose. Quire ging es wie ein Blitz durch den Kopf. »Tink!«
    Tinkler zwinkerte, als müsse er sich besinnen, machte eine Bewegung mit dem blutigen Säbel und spähte durch das Halbdunkel. »Käpt’n?« Quire faßte sich. »Führst du diesen Haufen?«
    »In deinem Namen, Käpt’n«, sagte Tinkler, in der Macht der Gewohnheit. »In deinem Namen.«
    »In meinem?« Quires Mund verzog sich in einem fürchterlichen Grinsen. »In meinem, Tink?« Langsam ging er auf seinen Leutnant zu. »Du brachtest diese Leute hier herein und tastest das in meinem Namen?«
    »Montfallcon gab mir die Anweisungen. Er wußte, daß du mir den Befehl über den Haufen übertragen hattest – oder vermutete es, ich weiß nicht. Aber du sagtest, ich sollte ihm gehorchen. Ich konnte dich nicht finden, Käpt’n, und es war zu gefährlich, dich zu suchen. Und dann sagte Montfallcon, daß die Königin

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