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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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zögernd empfing. »Sie wird immer wilder. Die Zaubertränke wirken nicht mehr. Ihr müßt bald einen neuen machen.« Dr. Dee fühlte sich zu schwach, um in den Audienzsaal zu gehen und dort Quires Ohr zu sein.
    Quire überlegte, ob er in die Wände eindringen und auf vertrauten Wegen einen Platz aufsuchen sollte, wo es ihm möglich wäre, beinahe alles zu belauschen, was im Audienzsaal gesprochen wurde, doch schien ihm die Gefahr, entweder mit den Tataren oder Montfallcon zusammenzutreffen, allzu groß. Er wünschte sich nicht selbst zu verraten, indem er Verbindungen zu dem Gesindel einräumte, dem schon bald die Schuld an so vielen Verbrechen zugeschoben werden sollte. So verharrte er, siedend vor Ungeduld, in erzwungener Untätigkeit.
    Er ging in das Gartenlabyrinth, aber Alys Finch stellte sich nicht ein. War auch sie in den Wänden? Mit Oubacha Khan und Sir Orlando Hawes? Um sie irrezuführen, wie er ihr aufgetragen hatte? Schlich der halbe Hof in jener Provinz herum, die er noch vor kurzem als sein Reich beansprucht hatte? Tinkler blieb unauffindbar. Es gab sonst niemanden, der für ihn arbeitete. In einer einzigen Nacht hatte er drei nützliche Berater verloren und sah sich jählings ohne Verbündete, auf die er zählen konnte. Dee war unbrauchbar. Die Königin, nachdem sie sich von allen Emotionen gereinigt hatte, würde gegenwärtig keine Hilfe sein. Er grübelte über diesem Problem, das von zentraler Bedeutung für seine Sache war. Wie konnte er den starken Gefühlsquell, der in dieser Frau war, wieder zum Sprudeln bringen?
    Er verbrachte den Tag mit Warten. Nie hatte er eine schrecklichere Zeit gekannt. Er war unfähig. Und als sie sich schließlich im Bett zu ihm gesellte, erzählte sie von ihren Bemühungen zur Einigung des Reiches, zur Friedenssicherung in der Welt und wunderte sich, daß er kein Lob für sie hatte. Sie sagte ihm, daß Montfallcon nicht zu finden sei, wahrscheinlich in die Wände gegangen, und daß sie den alten Lord auf einmal fürchte. Sie berichtete von Botschaften, die sie den Perrotts gesandt und worin sie diese gebeten habe, ihre Flotte nicht auslaufen zu lassen. Sie berichtete ferner von einem kurzen Zusammentreffen mit Oubacha Khan und Sir Orlando Hawes, und er wurde interessierter. Doch wie es schien, hatten die beiden der Königin nichts von ihren Plänen verraten. Sie versuchte ihn zu lieben, aber er blieb passiv, war kaum fähig zu reagieren. Sie gab ihn auf und machte sich zum Schlafen bereit. Er überlegte, ob er wieder zum Gartenlabyrinth hinausgehen und hoffen sollte, daß Alys dort sei. Er beobachtete Gloriana und liebkoste sie gedankenlos, bis sie tiefer zu atmen begann.
    Er sah sich außerstande, seinen Gemütszustand zu interpretieren; denn ihre unerwartete Stimmungsänderung hatte ihn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Mit einiger Verblüffung wurde ihm klar, daß er die Stimmung fürchtete und alles tun würde, beinahe jeden Preis zahlen würde, um sie von ihr zu nehmen. Und doch hatte er in früheren Zeiten schlimmere Situationen und verzweifeltere Verfassungen durchgestanden; warum sollte er jetzt so entmutigt sein?
    Er begann zu begreifen, daß ihm an ihrer guten Meinung von ihm gelegen war – oder daran, daß sie wenigstens eine Art von Meinung zu erkennen gab. Dieses Verlangen war neu. Er setzte sich im Bett auf und dachte daran, sie zu wecken, als mehrere Räume entfernt ein wildes Kreischen die Nachtstille durchschnitt.
    Gloriana fuhr aus dem Schlaf auf. »Eh? Was gibt es?«
    Quire sprang aus dem Bett und stieß die Vorhänge zurück. Das lange Nachthemd behinderte seine Füße. Er fand seinen Degen und sprang zur Tür, um zu lauschen: ein Durcheinander aufgeregter Frauenstimmen, das näher kam. »Eine Zofe, denke ich«, sagte er. »Vielleicht ein Anfall.«
    Er öffnete die Tür. In den benachbarten Räumen brannte Licht – Lampen, Kerzen, Fackeln. Schatten zuckten und taumelten über die Wände; überall liefen aufgeregte Frauen durcheinander, wie Hühner, denen der Fuchs in den Stall gekommen ist. Ein Riese schwankte durch eine Verbindungstür. Er taumelte, kaum noch fähig, sich auf den Beinen zu halten, durch das Gewimmel der in Nachthemden gehüllten Damen; er war fast nackt, und aus drei oder vier Wunden strömte pulsierend das Blut und überrann den zuckenden Körper eines kleinen Mädchens, das er in den Armen hielt. Es war der Albinozwilling, der Serailwächter, und er war dem Tode nahe. Quire lief auf ihn zu. Das Mädchen war eines von

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