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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Spuren von Schnecken versilbert hatten. In diesem Lichtkreis waren einst Herns Opfer – Gefangene oder auch Höflinge, die in Ungnade gefallen waren – vor jenen zur Schau gestellt worden, die sich mit Hern im Halbdunkel verbargen. Der Thron stand unberührt auf einer Plattform, die über dreizehn schwarze Stufen erreicht wurde. Hierher gingen Inglebo rough und Montfallcon, um sich der eisernen Vergangenheit zu erinnern, zu deren Zerstörung sie sich vor vielen Jahren verschworen hatten und gegen deren Rückkehr sie noch immer arbeiteten. Es war kalt, aber die zwei alten Männer erinnerten sich, wo die Kohlenbecken gestanden hatten, stinkend und zischend. Sie erinnerten sich an das Geflüster, an die Racheakte, die geplant und ausgeführt worden waren, an das Gift, an die Korruption jedes unschuldigen Geistes, der sich in diese Arena gewagt hatte.
    Ihre Gestalten wurden überragt von Obsidianstatuen von groteskem und menschenähnlichem Aussehen – brütenden Statuen, die vielleicht noch immer von der hitzigen, krankhaften und phantastischen Vergangenheit träumten, als König Herns Thronsaal vom Winseln unglücklicher Opfer widerhallt hatte und vom rauhen Gelächter der Betrunkenen, der Degenerierten und der Verzweifelten, die zu fasziniert oder verängstigt waren, um der suchterzeugenden Atmosphäre den Rücken zu kehren, welche die Befriedigung der grausigen Begierden des vom Selbsthaß zerfressenen Hern begleitete.
    Der Ort ängstigte den Pagen, der seinem Herrn mit zwei Schritten Abstand gefolgt war, aber nun näher kam und ihn schüchtern am Ärmel zupfte. »War König Hern verrückt?« flüsterte er. »Es heißt, er sei wahnsinnig gewesen.«
    »Sein Wahnsinn brachte Albion Reichtum«, antwortete Montfallcon. »Besitztümer aller Art. Denn ob er gleich keinen politischen Ehrgeiz hatte, jedenfalls nicht im gewöhnlichen Sinne, förderte er die Rivalitäten und den Wettbewerb unter seinen Höflingen und dem Adel, so daß es ihr höchstes Ziel wurde, ihren eigenen und Albions Reichtum zu vergrößern. Wie auch immer, gegen Ende seiner Regierungszeit wurde die Gefahr, daß alles wieder verlorengehen würde, beinahe zur Gewißheit. Unsere Feinde waren drauf und dran, uns alles wieder wegzunehmen, denn sie glaubten, mit Herns Tod werde es zum Bürgerkrieg kommen. Statt dessen bestieg die junge Königin Gloriana den Thron – dank den Anstrengungen von Männern wie deinem Herrn und mir –, und in den dreizehn Jahren ihrer Herrschaft hat unsere Welt sich von einem Bereich schrecklicher Finsternis in einen von goldenem Licht gewandelt.«
    »Es ist nur ein Jammer«, sagte Ingleborough bekümmert, »daß wir alle von Herns Wahnsinn berührt worden sind. Es gibt nicht einen unter uns Veteranen jener Zeit, der nicht in dieser oder jener Weise korrumpiert, deformiert oder geschädigt wurde.« »Nicht die Königin!« sagte Montfallcon. Lord Ingleborough hob die Schultern.
    »Und Ihr auch nicht, Sir!« sagte Patch in loyaler Überzeugung zu seinem Herrn.
    »Täusche dich nicht, Lord Montfallcon und ich dienten König Hern, und wir dienten ihm gut. Aber wir träumten von einer edleren Zukunft, von Albions perikleischem Zeitalter, wenn du so willst. Wir bewachten und umhegten Gloriana als das Symbol unserer Hoffnung und wendeten den König gegen jene, die ihn am entschiedensten unterstützten, füllten sein verrücktes Gehirn mit Beweisen von Komplotten gegen ihn, so daß er nach und nach die schlimmsten seiner Anhänger zerstörte und die besten förderte – Männer wie uns, die nichts für die Dinge übrig hatten, die täglich in diesem Saal vorgingen …« Ingleborough seufzte. »Und die Königin hat neun Kinder, von denen keines legitim ist. Die Vorstellung erschreckt mich. Sie leugnet nicht, daß es ihre Kinder sind, aber sie kann die Väter nicht benennen. Sollte sie sterben … oh, es wäre das Chaos! Wenn sie andererseits heiratete …«
    »Früher oder später wird es Zank und Streit geben«, sagte Montfallcon. »Gäbe es einen Mann, wie wir ihn uns wünschen sollten, so würden gewisse Zungen zum Schweigen gebracht. Es fehlt auch nicht an geeigneten Kandidaten von Stand, aber sie will nur den einen heiraten, der ihr Frieden geben kann, und das ist noch keinem gelungen.« Er blickte zu den grinsenden Statuen auf. »Sollte Gloriana stürzen, so würde Albion in dies oder Schlimmeres zurückfallen. Zynismus, Gier, Ungerechtigkeit und Charakterlosigkeit würden wieder herrschen, und wir würden wieder klein werden.

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