Gloriana
sie ungezwungen über die Dinge, die sie am meisten beschäftigten. »Letzte Nacht waren es wieder die Kleinen und das Bade
becken«, erzählte Yashi Akuya ihrem Begleiter, »das sagte mir meine Vertrauensperson.« (Es war ihr gelungen, eine Geisha in Glorianas Serail unterzubringen, und nun ließ das Mädchen ihr regelmäßig Berichte zukommen.)
»Gefolgt von obskuren Aktivitäten mit Spielzeugschafen, wie ich hörte«, ergänzte der junge Khan, indem er sich mit Daumen und Zeigefinger über die lang herabhängenden Schnurrbartenden strich. Er hatte seinen eigenen Spion, einen Mauretanier, der ihn nicht so sehr über Glorianas jeweiligen Zeitvertreib zu unterrichten hatte, sondern vornehmlich über ihren Gesundheitszustand und ihre seelische Verfassung. Die Diplomatie der ausländischen Geschäftsträger beruhte zu einem guten Teil auf ihren jeweiligen Interpretationen von Glorianas persönlichem Befinden.
Yashi Akuya errötete, dann fügte sie mitfühlend hinzu: »Aber ohne Ergebnis, wie gewöhnlich.« Sie litt ähnlich wie Gloriana, aber weniger intensiv. Auch war sie überzeugt, daß ihr beklagenswerter Zustand bald ein Ende finden würde, wenn Oubacha Khan endlich bemerkte, was sie für ihn empfand, und seine Schüchternheit oder Zurückhaltung überwand. »Sie ist unzufrieden und enttäuscht.«
Die Gesandte Nippons machte ein leises schnalzendes Geräusch durch die gerundeten Lippen.
»Gibt es keine Hinweise, daß entweder der König von Polen oder der Großkalif in ihre Privatgemächer gebeten wurde?« »Keinen, obwohl sie es an Bereitwilligkeit nicht fehlen ließen. Es wurden durch Mittelspersonen Versuche unternommen, Handschreiben gesandt und was dergleichen mehr ist. Aber schließlich reiste der König von Polen ab, der schwesterlichen Zuneigung der Königin versichert, während der Großkalif sich mit einer Kammerzofe und – aber das ist ein bloßes Gerücht – der Gräfin von Scaith tröstete.«
»Er hoffte, die Gräfin würde ihm einen Weg zu Gloriana öffnen. Wir können getrost vermuten, daß er aus diesem Grund mit seinen sonstigen Gewohnheiten brach.« Der tatarische Gesandte stieß ein frostiges Lachen hervor, um die Eifersucht zu verbergen, die er fühlte. Obgleich er im Hinblick auf die Königin keinerlei Ehrgeiz hatte, hegte er seit zwei Jahren leidenschaftliche Empfindungen für ihre engste Vertraute und hätte dieser längst den Hof gemacht, wäre er nicht durch einen Eid, der von allen tatarischen Edlen abgelegt werden mußte, die als Gesandte in fremde Länder gingen, zum Zölibat verpflichtet gewesen.
»Gleichwohl scheinen der Großkalif und der König von Polen sich noch entschiedener als bisher zu ihrer Allianz mit Albion bekannt zu haben«, sagte Yashi Akuya.
Ihr Begleiter nickte. »Das hat dieses Land Glorianas Arglosigkeit und Montfallcons Schlauheit zu verdanken. Indem ich Sorge trug, daß Prinz Sharyar die Wahrheit über Montfallcons Beteiligung an der Ermordung seines Neffens erfuhr, hatte ich gehofft, einen substantiellen Streitgegenstand zu liefern, doch ist der Ehrgeiz des Großkalifen augenscheinlich so stark, daß er bereit scheint, alle Rücksichten auf seine eigene Ehre fahrenzulassen, wenn sich dadurch eine Chance bietet, die Königin zu gewinnen.« Er schüttelte mißbilligend den Kopf. »Wäre dergleichen einem Tataren widerfahren, so hätte er auf der Stelle Vergeltung geübt oder wenigstens Genugtuung verlangt, ungeachtet der politischen Konsequenzen.«
Sie schlug die langen Wimpern nieder. »Auch in Nippon ist die Ehre nicht tot«, sagte sie.
Er überwand gewohnheitsmäßige Vorurteile und nickte im Einverständnis. »Die Inseln Nippons sind geradezu ein Synonym für Selbstlosigkeit«, sagte er ihr großmütig. »Unsere zwei Nationen stehen allein als Erhalter der alten Werte in einer Welt, wo kriecherische Schmeichelei, Pazifismus und Ehrlosigkeit zu Glaubenssätzen geworden sind. Auch ich bin für Frieden – aber nicht für einen Frieden um den Preis meiner Ehre. Gibt es tiefgehende Meinungsverschiedenheiten oder Ungerechtigkeiten, die eine Nation auf die Dauer nicht hinnehmen kann, ohne sich selbst zu erniedrigen, darf man einem mannhaft ausgetragenen Konflikt nicht ausweichen. Nichts entscheidet Streitfragen so eindeutig und wirksam wie ein Krieg. All diese Geheimdiplomatie kompliziert, verwirrt und unterdrückt lediglich Probleme, die offen ausgetragen werden müssen, um die Luft zu reinigen. Der Sieger weiß, was er gewonnen hat, und der Besiegte, was
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