Gloriana
– in Stöcken, verfaultem Holz, rostigen Waffen, den Knochen von Katzen und Ratten –, die auf epische Mordtaten aus Albions Legenden hindeuteten. Sie untersuchten kleine Nebenräume, die noch immer schmale Betten und Bänke enthielten, Ketten und Handschellen, als hätten hier einmal Gefangene geschlafen und gearbeitet – vielleicht diejenigen, welche die hinter ihnen liegende Galerie mit Schnitzwerk ausgestattet hatten. Sie stiegen gesprungene Steinstufen hinab und hörten Wasser fließen, ohne es zu Gesicht zu bekommen. Sie fanden Wachs, das so frisch schien, als sei es erst vor einer Stunde von einer Kerze getropft. Sie fanden Nahrungsreste, die ohne Zweifel von den allgegenwärtigen Ratten hierher verschleppt worden waren. Überall vernahmen sie Geräusche von Bewegung und vermuteten, daß diese aus den bewohnten Teilen des Palastes zu ihnen drangen. Es war seltsam, dem aktiven Leben so nahe zu sein, ohne die Quellen der Geräusche und Bewegungen ausmachen zu können. Sie hörten Stimmen, Gelächter, Rufe, das Geklapper von Gegenständen, Schritte – Geräuschfragmente, manchmal ganz laut, manchmal sehr schwach, als besäße der Raum innerhalb der Wände von Ort zu Ort wechselnde Eigenschaften. Sie wurden von den Lebenden umspukt.
Una führte Königin Gloriana eine Wendeltreppe hinauf und kroch mit ihr durch einen niedrigen Gang, bis voraus plötzlich Licht war, dessen Quelle auf der rechten Seite in der Wand sein mußte. Una bedeutete ihrer Begleiterin, kein unnötiges Geräusch zu machen, und bewegte sich vorsichtig auf allen vieren weiter, bis sie durch ein hölzernes Entlüftungsgitter in einen Raum hinabblicken konnten.
Mit Befriedigung bemerkte Una, wie verblüfft Gloriana war. Unter ihnen wanderte kein anderer als Dr. Dee in einem Raum auf und nieder, der angefüllt war mit Pergamentrollen, einfachem, abgenutztem Mobiliar, wissenschaftlichen Gläsern, Instrumenten aus Messing und poliertem Holz, vollgestopften Regalen und Schränken, Kristallen, Spiegeln, Weltkugeln und astrologischen Tafeln, einer Darstellung der Planeten und ihrer Umlaufbahnen um die Sonne, Phiolen, die starkfarbige Flüssigkeiten und Pulver enthielten – kurzum alles, was ihm für die Ausübung seiner ungezählten wissenschaftlichen und intellektuellen Forschungen notwendig erschien.
Er trug einen offenen Hausmantel, nichts sonst, der festes Fleisch, graues Haar und, zur gemeinsamen Verblüffung der Beobachterinnen, unverhältnismäßig große Geschlechtsteile enthüllte, welche er die ganze Zeit geistesabwesend befingerte, als könne das seiner Konzentration helfen. Königin Gloriana biß sich auf die Lippen, um nicht laut herauszuprusten, dann wurde sie beschämt und zupfte Una am Ärmel, um sie zum Mitkommen zu bewegen.
Una jedoch kroch weiter zurück, zu einer anderen Öffnung, und Gloriana folgte ihr wohl oder übel. Hier konnten sie in John Dees Schlafgemach sehen. Es war mit Karten, astrologischen Tafeln, Büchern, alchimistischen Apparaten und dergleichen mehr ebenso vollgestopft wie der andere Raum. Nur das Bett, drapiert mit schwarzen Vorhängen, auf denen eine Vielzahl von mystischen und astrologischen Symbolen zu sehen war, wie es sich für das Lager eines Mannes geziemte, der dem Prometheus nacheiferte, war frei von Papieren und Utensilien. Gloriana blickte mit fragendem Stirnrunzeln zu Una, doch diese bat sie mit einer Handbewegung um Geduld und Stillschweigen. Nicht lange, und Dr. Dee kam herein, seine mächtige, angeschwollene Männlichkeit in der Hand. Gloriana keuchte.
»Oh«, hörten sie ihn ächzen, »gäbe es nur ein Gegenmittel für Liebe. Dieses köstliche Gift! Es erfüllt mein Wesen. Einen Zaubertrank, der den Körper der Lust beraubte, den Verstand klar ließe. Ach, es gibt keinen! Die Dämpfung solchen Verlangens löscht die höhere Wirkungsweise des Verstandes aus. Ich muß beides haben! Ich brauche beides, Madame! Madame!« Gloriana hob die Brauen in ungläubigem Staunen.
Er zog die Bettvorhänge behutsam zurück, und es schien, daß dort eine Gestalt im Halbdunkel lag, groß und einen sehr schwachen Glanz aussendend, gleich einem verwesenden Leichnam, der im Dunkeln phosphoresziert. Sie sahen, wie John Dee dieses Objekt zu streicheln begann. Er murmelte, legte sich neben ihm nieder, umschlang es mit den Armen und warf ein Bein über es. »Oh, meine Schöne! Oh, meine Liebe. Bald sollen deine Lenden leben und zu meinem Stampfen pulsieren! Ah! Ah! Ah!« Gloriana zog Una mit sich fort.
Kurze Zeit
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