Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
Vom Netzwerk:
später standen sie wieder auf der Treppe, die Laternen lose in den Händen. Gloriana lehnte an der Wand, ihr Mund hing offen. »Una …«
    Die Gräfin lachte. »Da lernt man die menschlichen und allzu menschlichen Seiten eines Weisen kennen, nicht wahr?« »Wir hätten nicht zuschauen sollen! Dieses Ding, das er da hat – was mag es sein? Liebt er eine Tote? Ist es ein Mensch oder ein Tier? Oder gar ein Dämon? Vielleicht ist es ein weiblicher Dämon, Una. Oder ein Leichnam, der darauf wartet, von einem Dämon besessen zu werden.« Das Rascheln und Murmeln hinter den Wänden, das Huschen und die kaum gesehenen, schattenhaften Bewegungen im Dunkeln begannen sie jetzt zu beunruhigen. »Beschäftigt mein Hofastrologe sich neuerdings mit Geisterbeschwörung?«
    »Gewiß nicht«, sagte Una. »Das Ding ist wahrscheinlich nicht mehr als eine wächserne Nachbildung von jemand. Kein lebendes Wesen. Er liebt Euch, Majestät, seht Ihr das nicht?« »Ich dachte es mir. Aber ich wollte nichts davon wissen.«
    »Ich habe ihn früher schon belauscht. In seinen Selbstgesprächen redet er ständig von Euch. Sein Verlangen nach Euch ist wie ein Fieber.« »Aber er hat nie auch nur eine Andeutung …«
    »Das kann er nicht. Aber er liebt Euch. Natürlich befürchtet er mancherlei – etwa, daß Ihr ihn verlachen werdet. Daß Ihr von ihm abgestoßen sein werdet. Er ist in einer verzwickten Lage. Und, wie es scheint, unfähig, sich mit einer anderen Frau zufriedenzugeben.«
    »Er schien recht zuversichtlich, als er sich zu diesem – Ding
legte …«
»Er bildete sich ein, Ihr wärt diejenige.«
Gloriana begann breit zu lächeln. »Ach, der arme Dee. Sollte
ich …?«
»Es wäre eine schlechte Politik, Majestät.«
    »Aber es würde ihn glücklich machen. Schließlich hat er mir viel gegeben und sich um das Reich verdient gemacht. Er sollte belohnt werden. Es gibt wenige, die seine Qual so gut verstehen und nachempfinden können wie ich.«
    »Er leidet nicht, wie Ihr leidet.« »Bis zu einem gewissen Grad, Una.«
    »Aber nicht im gleichen Maße. Gebt acht, Majestät. Montfallcon …«
    »Ich weiß; es wäre destruktiv. Vier Jahre ist es her, seit ich einen Höfling unterhielt. Sie werden ehrgeizig oder melancholisch, und es kommt zu Eifersüchteleien und Gerüchten …« »Und Ausgaben«, sagte die Gräfin von Scaith. »Wie viele von Ihnen habt Ihr verheiraten und mit Gütern beschenken müssen. Eure Freundlichkeit zu denjenigen, die Euch geliebt haben …«
    Gloriana nickte. »Meine Schuld. Aber du hast recht, liebes Herz. Dee muß weiter brennen, und ich muß mein Bestes tun, um ihn auch weiterhin so zu behandeln, wie ich es immer getan habe.« »So werdet Ihr Euch seinen Respekt bewahren.«
    »Gewiß, aber es wird schwieriger sein, mit ihm umzugehen, da ich nun weiß, wo ihn der Schuh drückt. Ich glaube, ich werde es nicht mehr über mich bringen, Montfallcon gegen ihn auszuspielen, wie ich es sonst gern tat. Es war eine Unterhaltung, die auf Dees Kosten ging.«
    Sie durchschritten einen niedrigen Raum und fanden eine schadhafte Tür, durch welche sie den Gang betreten wollten, aus dem sie gekommen waren. Doch als sie die Tür geöffnet hatten und sich bückten, flackerte zu ihrer Rechten, wo ein weiterer Gang mündete, Laternenschein auf, und sie richteten sich auf und wandten ängstlich die Köpfe.
    Ein zwergenhafter Mann spähte unter der erhobenen Laterne hervor. Er schien bucklig zu sein oder ein Gewächs auf der Schulter zu haben, trug ein ledernes Wams und ein dunkles Hemd, dessen Kragen am Hals gefältelt war. Er hatte große Augen und einen breiten Mund, was ihm das Aussehen eines intelligenten Frosches gab. Als sie den ersten Schreck überwunden hatten, hoben sie auch ihre Laternen und nahmen eine Haltung ein, wie sie ihrer Verkleidung angemessen war. »Was ist das?« sagte Una in arrogantem Ton, mit einer Hand an die Wand gestützt. »Der zurückgebliebene Kerkermeister?« Sie sah nun, daß der Mann eine kleine, schwarz-weiß gescheckte Katze auf der Schulter trug, die ganz still saß und die beiden Eindringlinge mit gelben Augen anschaute.
    »Was ist das?« wiederholte Jephraim Tallow in spöttischer Nachahmung. »Zwei Schauspieler, die sich verlaufen haben?« »Wir sind Herren von Stand, Sir«, sagte Gloriana kühn, »und möchten Eure Beleidigung übel aufnehmen.«
    Tallow öffnete den breiten Mund und lachte. Una glaubte in ihrem Herzen, daß sie und die Königin erkannt seien, doch waren solche Gedanken hier kaum

Weitere Kostenlose Bücher