Glück, ich sehe dich anders
der ersten Reihe. Louise verfolgte staunend das Taufritual. Die Pastorin kündigte an, dass auf lautes Orgelspiel mit sämtlich gezogenen Registern der Orgel verzichtet werde, da Loreen eine extreme Geräuschempfindlichkeit habe. Niemand hatte ein Problem damit. Auch nicht, als Loreen dann selbst noch bei dem leisem Orgelspiel laut schrie und sich die Ohren zuhielt. Tante Sammy und Oma Karin wurden Loreens Taufpatinnen. Sammy überraschte uns mit dem Auftritt zweier Sängerinnen und einem Klavierspieler des Gospelchores aus der Nachbargemeinde. Das vorgetragene Lied Pie Jesu ging allen unter die Haut. Es war ein wundervolles Geschenk. Im Anschluss an den Taufgottesdienst saßen wir mit Familie und Freunden bei uns zu Hause zum Kaffee zusammen.
Zum Sommer fand Rolf eine neue Anstellung, zunächst arbeitete er nur stundenweise einige Tage pro Woche. So konnte er die Kinder teilweise weiterhin noch mit betreuen und besonders Louise zu den Kontrollbesuchen ins Krankenhaus oder zur Arztpraxis begleiten. Rolfs neuer Chef konnte unsere Familiensituation sehr gut nachvollziehen, da er durch die Behinderung seines eigenen Kindes Erfahrung hatte. Rolf durfte sich die Arbeitszeit selbst einteilen. Nach Bedarf fuhr er mal morgens gegen sieben Uhr oder erst gegen neun Uhr zur Arbeit. Wenn er zu Hause gebraucht wurde, konnte er bereits mittags Feierabend machen. Das war optimal für uns alle.
Louise war in einem Alter, in dem sie gern Einkaufengehen spielte. Unsere geräumige Speisekammer war ein Paradies für sie. Die Kammer wurde zum Supermarkt umfunktioniert. Rolf hatte große Regale in dem Raum angebracht, sodass er wie ein kleiner Tante-Emma-Laden aussah. Louise hängte sich ihre Geldbörse um den Hals, nahm sich einen Korb und suchte sich aus der reichlichen Anzahl Dosen und Schachteln -es gab Pilze, Tomaten, Erbsen und Möhren, Milch, Chips, Negerküsse, Salzstangen und Duschgel – einige aus und packte die Waren in ihren Korb. Bei jedem neuen Teil in ihrem Korb machte sie ein paar Bemerkungen. Nudeln hießen »Giko«, Milch »Mi« und die übrigen Dinge »Mhhhh«. Dabei rieb sie sich dann den Bauch, weil es ja alles so lecker war. Unter den Arm klemmte sie sich ein großes Paket Toilettenpapier. Danach ging sie schwer bepackt, stöhnend und schnaufend aus der Speisekammer und verteilte die Sachen in der Küche, im Badezimmer und im Wohnzimmer. Von meiner Schwiegermutter und meiner Schwester bekam Louise einen Kindereinkaufswagen zum Spielen und eine Registrierkasse. Ich stellte beides in die Speisekammer, und Louise kaufte ein, bezahlte, räumte die Waren in den Kühlschrank und die Küchenschränke oder brachte das Duschgel und das Toilettenpapier ins Badezimmer. Louise begriff sehr schnell, was wohin gehörte. Als Louises Blutwerte – und besonders die Werte für die eigene Abwehr – sehr gut waren, fuhr ich mit ihr zur Abwechslung in den kleinen Einkaufsladen in dem Ort, in dem meine Schwiegereltern lebten. Ich hoffte, dass dort keine Flut von Bakterien, Viren und sonstigen Erregern umherschwirrten und ich Louise mit dieser kleinen Abwechslung etwas Gutes tun konnte. Louise stolperte vergnügt in den Laden hinein und rief lauthals: »Hallo, Käthe Kaufmann!« Die Besitzerin hieß Käthe und weil sie den Ausdruck »Zum Kaufmann gehen« kannte, rief Louise sie eben »Käthe Kaufmann«. Wie Louise es beim Spielen mit ihrem Kinderkaufladen gelernt hatte, nahm sie gleich den kleinen Einkaufswagen, schob ihn durch die Gänge und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie packte den Wagen voll mit Bananen, Pudding, Chips, Mandarinen in Dosen, Gewürze und Nudeln, fuhr zum Wursttresen, zeigte auf ihre Lieblingswurst und rief: »Da, Wu!« – Da Wurst!
Der Ladenbesitzer, der hinter dem Fleischtresen stand, schnitt ein paar Scheiben der leckeren Jagdwurst ab, wickelte sie ein und überreichte sie Louise, die sie artig in ihren Einkaufswagen legte. Danach fuhr Louise durch die Gänge mit Süßwaren weiter zur Kasse. Ich half ihr, die Waren auf das Einkaufsband zu legen. Louise schaute gespannt auf die Kassiererin Marga, die Louise mit »Hallo, Marga Kaufmann!« begrüßte. Louise staunte, wie flink sie auf den Tasten der Kasse tippte. Dann öffnete Louise ihre Geldbörse, holte einen Geldschein heraus, übergab ihn der Kassiererin und machte die Geldbörse wieder zu. Ich packte die Waren in die Einkaufstasche und ging mit Louise zum Auto. Louise lief vergnügt neben mir her und stöhnte und schnaufte heftig, weil die Tasche
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