Glück, ich sehe dich anders
Reihe an. Ganz vorn stand sie, alle fassten sich an den Schultern an, und los ging es. Louise lief und lief, dann ging die Musik aus, und alle setzen sich. Nur Louise nicht, die lief weiter. Verloren. Macht nichts. Zum Trost gab es ein dickes Stück Sahnetorte.
MITGEFÜHL
W ir erhielten einige Geldspenden. Eines Morgens lag ein Umschlag in unserem Briefkasten. Die Kollekte einer Kirchenveranstaltung zusammen mit einem Brief war darin. Jemand hatte von unserem Schicksal gehört und sich dafür eingesetzt, dass wir die Kollekte bekamen. Wir kauften Lebensmittel und ein Bauteil für den Gartenzaun davon.
Ein anderes Mal überreichte uns die Gemeinde in unserem Amtsbereich im Auftrag eines Handwerkers, dessen Namen wir nicht kennen, eine große Summe Geld. Endlich konnten wir uns unser heiß ersehntes Gartentor leisten. Und die Amtsverwaltung spendete uns den gesamten Erlös einer Tombola, von dem wir den Gartenzaun komplettierten und die Zuzahlung für Louises so genannte Reha-Karre bezahlten. Der psychosoziale Dienst der Kinderkrebsklinik stellte für uns Anträge bei Leukämiestiftungen und Krebshilfeorganisationen. Von dort erhielten wir finanzielle Einmalunterstützungen, die wir für tägliche Fahrten und Besuchsfahrten ins Krankenhaus ausgaben. Zusätzlich unterstützte uns unsere Krankenkasse und zahlte die Fahrten des Betreuungswechsels und die ambulanten und stationären Fahrten zur Klinik. So war es überhaupt nur möglich, täglich in die entfernte Kinderkrebsklinik zu fahren. Die ortsansässige Bundeswehr schenkte uns den Inhalt einer Geldspendenflasche, in die die Fahrschüler, die kostenlos ihren Führerschein bei der Bundeswehr erwerben, einen freiwilligen Obolus entrichten. Dieser wurde uns bei einem großzügig ausgerichteten Frühstück im Haus unseres Bürgermeisters Klaus-Willi Hinrichs und seiner Ehefrau Marlene überreicht. Wir waren überwältigt von so viel Großzügigkeit und der großen Anteilnahme. Wenn wir danach am Haus des Bürgermeisters vorbeikamen, rief Loreen laut: »Anhalten! Da gibt es Frühstück!«
GEBURTSTAGE
I ch hatte mir Ziele gesteckt. Erst Louises Geburtstag schaffen, dann Loreens Geburtstag schaffen. Schaffen … Das bedeutete, ich wünschte mir, dass Louise diese Tage noch erlebte.
Ein Ziel war erreicht: Louise wurde fünf.
Sie durfte zu Hause feiern und bekam ein Puppenhaus und einen Bauernhof mit Tieren. Aber das war ihr nicht wichtig. Sie freute sich, dass die ganze Familie am reichlich gedeckten Tisch saß und mit ihr gemeinsam feierte.
Die Ergebnisse von Louises Knochenmark-Untersuchung waren gut. Zur Vorsorge wurde trotzdem bei Rolf, Loreen und mir Blut abgenommen, um zu sehen, wer für eine Knochenmarktransplantation in Frage käme. Wie sollte es anders sein: Loreens Blutprobe passte genau. Ich bekam eine Gänsehaut, als wir dies erfuhren. Ausgerechnet Loreen, Louises behinderte Schwester. Gehofft hatte ich natürlich, dass Rolf oder ich in Frage kämen, aber das Schicksal wollte es anders. Von Loreen, die oft unterschätzt wurde, konnte womöglich das Leben ihrer Schwester abhängen. Doch zu einer Knochenmarktransplantation würde es nur im Falle einer Verschlechterung von Louises Werten kommen. Eine weitere Zelluntersuchung ergab zum Glück, dass auf zehntausend Zellen keine Leukämiezelle auffindbar war. Dennoch galt fortan, auf Loreen noch viel behutsamer aufzupassen, denn sie war ein doppelter Schatz.
Den Sommer 2003 verbringen wir überwiegend zu Hause. Den Grill hatten wir schon das zehnte Mal angeschmissen. Loreens und Louises Lieblingsnachbar Frank kam und staubte des Öfteren eine Grillwurst ab. Beide Mädchen waren angetan von Frank. Loreen drückte ihn oft und sagte: »Oh, liebe dich, mein Frank!« Sie wollte dann auch unbedingt eine Cola mit Frank trinken. Louise schenkte Frank Handküsse. Wenn die beiden sahen, Mama und Papa bereiten den Grill vor, dann holten sie schnell einen Teller mehr aus dem Schrank. »Frank kommt aba auch«, sagte Louise jedes Mal und lief barfuß in ihrem rosafarbenen Blümchenkleid zum Gartenzaun und hielt Ausschau nach Frank. Sobald sie ihn erspähte, rief sie laut: »Frank, komm her, komm rüber, Grillwurst essen!«
Kurz vor Loreens viertem Geburtstag befand sich Louise wieder einmal wegen einer Infektion in einem Isolierzimmer. Louises Abwehr war noch nicht so gut, dass sie schon nach Hause entlassen werden durfte. Aber zwei Tage bis zu Loreens Geburtstag hatten wir noch Zeit. Louise malte ein Bild für Loreen,
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