Glück, ich sehe dich anders
konnte nichts tun, ich konnte ihn nicht stoppen.
In einem anderen Traum mussten wir umziehen, wir packten unsere Sachen. Wir sollten aus unserem Haus heraus und in eine alte verlassene Wohnung ziehen.
Wieder ein Traum mit einer Brücke: Ich sollte viel Geld bezahlen, um eine Brücke überqueren zu dürfen.
All diese Träume machten mir aber keine Angst, sie halfen mir, meine Ängste besser zu verstehen. Sie ließen mich Hindernisse erkennen, die mir im Weg standen. Sie zeigten mir, dass ich Angst hatte, einen Schritt zurückzugehen oder etwas Kostbares zu verlieren, wenn ich meine Gewohnheiten verlassen musste. Sie ließen mich verstehen, dass ich die Erkrankung von Louise erst noch zu bewältigen hatte. Die Träume machten mir aber auch Mut: Kurz vor dem Aufprall kommst du doch immer wieder hoch. Sie teilten mir mit, dass ich etwas investieren muss, um an mein Ziel zu gelangen.
ANGST
I ch fragte mich, wie wohl die Traueranzeige für mein Kind aussehen würde. Ich überlegte, welchen Text wir auswählen könnten. Ob man ein Bild mit abdrucken darf? Ich malte mir aus, wie eine Beerdigung für mein Kind stattfindet. Was macht man im Krankenhaus mit einem Leichnam? Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn Louise sterben würde. Wir müssten sie wohl im Krankenhaus lassen. Wahrscheinlich würde sie mit einem weißen Laken zugedeckt und ein Schild mit ihrem Namen und Geburtsdatum würde an den großen Zeh gebunden. So kannte ich es aus den Kriminalfilmen, die ich gern sehe. Ob man sie in einen dunklen Leichenkeller schiebt? Bewahrt man sie in einem Kühlfach mit herausziehbarer Liege auf, das mit einer Tür verschlossen wird? Nein, das würde ich nie zulassen. Ich würde sie nach Hause bringen lassen, um hier von ihr Abschied nehmen zu können.
Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn sie zu Hause sterben würde. Wahrscheinlich würde ein Bestattungsunternehmer mit einem kleinen weißen Sarg unter dem Arm kommen und sie darin aus dem Haus tragen. Ich würde schreiend hinterherrennen.
Wie würde wohl der Gottesdienst abgehalten? Dürfte ich den Altar mit Bildern von Louise herrichten? Würde ich ihre Lieblingsmusik spielen lassen? Müsste ich laut weinen und vor Verzweiflung schreien, oder würde ich ruhig und in mich gekehrt sein? Erwarteten die Trauergäste hinterher einen Leichenschmaus in der alten Kaffeestube des Dorfes wie üblich nach Beerdigungen?
Ich erzählte Louise, dass ich Angst habe, dass sie irgendwann einmal nicht mehr da sei.
Da sagte sie: »Aber Mama, ich bleibe doch hier zu Hause bei Mama, bei Papa und bei Loheen! Louise nicht weglaufen!«
Wir fuhren zweigleisig, mussten auf alles eingestellt sein, hofften, bangten und beteten.
Die Behinderungen unserer beiden Mädchen waren völlig in den Hintergrund getreten. Was wir kurz nach Louises Geburt sicher für unmöglich gehalten hatten, konnten wir jetzt leichten Herzens sagen:
Louise und Loreen sind etwas Wunderbares. Wir schätzen sie sehr. Sie geben uns so viel Kraft durch ihre Art. Louise ist so charmant und verzaubert die Menschen in der Umgebung. Ob im Wartezimmer einer Praxis oder im Restaurant, sie lockert manch trübe Stimmung durch ihren Frohsinn auf. Sie ist immer gut gelaunt, und ihr Lachen ist einfach wunderbar. Sie gibt so viel Trost, wenn es einem schlecht geht. Mit der Zeit haben wir durch diese kleine Persönlichkeit so viel erfahren und viele wertvolle Menschen kennen gelernt. Wir wissen, wer es gut mit ihr meint, und lernen jeden Tag etwas Neues hinzu. Und so ist es auch mit Loreen. Jeder kleine Fortschritt von ihr ist ein großes Wunder für uns. Wir haben durch unsere Mädchen neue Freunde gewonnen – Behinderte oder nicht Behinderte, mit denen wir auch andere gemeinsame Interessen teilen. Wir sind so dankbar, dass unsere Mädchen bei uns sind. Ein Leben ohne sie können wir uns nicht mehr vorstellen. Unsere Kinder sind nicht weniger wert als andere, im Gegenteil: Sie zählen mittlerweile doppelt für uns. Es ist oft ein anstrengendes, turbulentes Leben, aber überwiegend empfinden wir es als sinnvoll und als große Herausforderung. Niemand macht uns glücklicher als unsere beiden Mädchen. Sie gehören zusammen, sie müssen zusammen aufwachsen.
SCHÖNE ERLEBNISSE
B ehinderte Menschen, ich verehre sie. Ich habe schon so viele besondere Momente mit behinderten Menschen erlebt. Ich wartete einmal in einem Café. Mir gegenüber saß ein junger Mann mit einem jungen Mädchen, vermutlich seine Schwester. Sie schien ein
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