Glück muß man haben
werden.«
»Ja.«
»Wie denn?«
Wilhelm breitete seufzend die Arme aus, zuckte die Achseln. »Ich nicht wissen.«
»Sie müssen um dieses Haus einen Bogen machen.«
Er breitete die Arme noch weiter aus.
»Ich nicht können.«
»Dann hilft nur ein Lokalverbot.«
»Lokalverbot? Was sein das?«
»Wenn einem untersagt wird, ein bestimmtes Lokal zu betreten. Der Wirt kann das bei der Polizei beantragen.«
»Aber müssen es geben dafür doch Gründe, oder nicht?«
»Sicher.«
»Welche?«
»Meistens ständige Betrunkenheit. Oder Randalieren. Oder Belästigung anderer Gäste.«
»Alles nicht passen auf mich«, sagte Wilhelm triumphierend. »Ich sein also für Polizei nicht tastbar.«
»Unantastbar.«
»Bitte?«
»Das heißt ›unantastbar‹, Wilhelm.«
»Sein das nicht das gleiche, ›nicht tastbar‹ und ›unantastbar‹?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Das war nun gar nicht so einfach zu erklären, aber Marianne war ein kluges Mädchen, das in die Realschule gegangen war und gerade im Deutschunterricht immer besonders gut aufgepaßt hatte.
»Wilhelm«, sagte sie, »ist Ihnen der Unterschied klar zwischen ›ertasten‹ und ›antasten‹?«
Er dachte nach. Es dauerte aber nicht lange, und er erwiderte: »Ja.«
Zur Sicherheit sagte Marianne: »Was macht ein Blinder, der eine Türklinke sucht? Er ertastet sie. Und was darf man im Lebensmittelgeschäft nicht? Die Waren antasten.«
»Ja«, nickte Wühlern. »Ich verstehen.«
»Nicht tastbar ist also etwas«, fuhr Marianne fort, »das man nicht ertasten kann, weil es nicht vorhanden ist. Und unantastbar ist etwas, das man nicht antasten darf, aus Hygienegründen oder weil es z.B. heilig ist. Klar?«
Die Antwort lieferte Wilhelm mit einem einzigen internationalen Wort, das absolute Klarheit schuf: »Tabu.«
»Sehr richtig«, freute sich Marianne. »Sie haben's erfaßt.«
»Ich sein tabu für Polizei. Lokal verbot nicht möglich. Was dann?«
Marianne zuckte lächelnd die Achseln.
»Weiß ich auch nicht«, sagte sie und setzte hinzu: »Ich bin am Ende meines Lateins.«
Und schon war es wieder unvermeidlich, daß Wilhelm einhakte.
»Was das heißen, bitte?«
»Was?«
»Daß Sie sein am Ende von Latein?«
Nachdem ihm Marianne den Sinn dieser Redewendung erklärt hatte, sagte er halb belustigt, halb verlegen: »Ich auch am Ende meines Lateins.«
»Wieso?«
»Wenn Tee trinken wir, ich haben nur eine Tasse für Sie.«
»Na und?« sagte Marianne, einem kleinen Mißverständnis zum Opfer fallend. »Eine reicht mir vollauf, ich brauche keine zwei.«
»Ja«, nickte Wilhelm, »eine reichen für Sie, aber nicht mehr reichen für mich. Sie verstehen?«
»Sicher«, erwiderte Marianne. »Aber das ist doch kein Problem. Machen Sie ihn dünner, dann reicht er auch noch für Sie. Ich mag ihn ohnehin nicht so stark.«
Mit leicht verzweifelter Miene sagte Wilhelm: »Sie mich nicht verstehen. Sie denken, daß ich sprechen von Tee, von knappe Vorrat. Ich aber sprechen von Geschirr, wenn ich sagen, daß ich haben nur eine Tasse. Tee haben ich noch viel.«
»Ach so!« rief Marianne und fing an zu lachen. »Da können Sie mal sehen, Wilhelm, was für ein Schaf ich bin. Begriffsstutzig bis zum Geht-nicht-mehr.«
Wilhelm stimmte nicht ein in ihr Gelächter, sondern sagte mit ernstem Nachdruck: »Schaf sein nicht Sie auf gar keine Fall. Idiot sein ich, weil nicht können besser mich ausdrücken und dadurch schuldig an Irrtum. Jawohl!«
Marianne hörte auf zu lachen.
»Nein, Wilhelm«, erklärte sie mit keinem geringeren Nachdruck, »ein Idiot wären Sie nur, wenn Sie das, was Sie da eben gesagt haben, wirklich glauben würden. Stellen Sie sich doch einmal vor, die Situation wäre umgekehrt – insofern nämlich, als ich mich an Ihrer Stelle befinden würde und Russisch mir aneignen müßte.« Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Großer Gott, kann ich da nur sagen!«
Durch das Fenster drang der Lärm eines Zuges ins Zimmer, der in den nahen Bahnhof einfuhr. Wilhelm wartete, bis es wieder ruhiger geworden war, dann sagte er:
»Jetzt aber machen ich endlich Tee.«
Marianne begleitete ihn in die Küche. Die zweite Tasse, die für Wilhelm benötigt wurde, entlieh sich Marianne für ihn aus dem Bestand der Frau Krupinsky in deren Küchenschrank.
Es wurde dann noch eine stille, schöne Stunde in Wilhelms Zimmer – still insofern, als nicht mehr viel gesprochen wurde zwischen den beiden. Andere Geräusche gab's genug – vom Bahnhof her.
Natürlich lag
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